14.12.2022 - Das Vindobona/ Wien
Felix Martin:
Eine schöne Bescherung
„Geschenke sind die einzige Form von Rache, die kultivierten Menschen noch bleibt“ (Peter Ustinov)
„Eine schöne Bescherung“ der anderen Art gab es am 14.Dezember mit Felix Martin im Vindobona. Es war ein besinnlicher, heiter, nachdenklich aber auch bissiger Abend voller Geschichten, Zitaten und jeder Menge Liedern.
Felix Martin ist ein Entertainer mit großer Stimme. Zurecht schrieben die Stuttgarter Nachrichten 2018, dass er an Lässigkeit und Bestimmtheit an Harald Juhnke erinnert, nur das er richtig gut singen kann. Auch in Wien zeigte er keine Berührungsängste zum Publikum und interagierte mit den ZuschauernInnen auf eine sehr angenehme Weise, die weder aufdringlich noch peinlich war. Zu seiner Freude, war der ehemalige musikalische Direktor der Vereinigten Bühnen Wien, Caspar Richter im Publikum. Gemeinsam schwelgten sie spontan in Erinnerungen längst vergangenen Zeiten. War er doch maßgeblich dafür verantwortlich, dass Felix Martin die Rolle des Marius in der deutschsprachigen Erstaufführung von „Les Misérables“ im Wiener Raimundtheater bekam. Der Erfolg machte ihn bekannt. Felix Martin avancierte zu einem der gefragtesten Musicaldarsteller der Gegenwart. So interpretierte er aus die gefühlvolle Ballade „Dunkles Schweigen“ und sorgte für Gänsehautmomente.
Er überraschte mit „Gold von den Sternen“ und „In the Ghetto“, wo er zum verwechseln nach Elvis klang. „Musik der Nacht“ aus „Das Phantom der Oper“ war ein weiteres Highlight.
In der Weihnachtsversion von „From a Distance“, im Original von der großartigen Bette Midler gesungen, berührte er die ZuschauerInnen.
„All I Want For Christmas Is You“ (Mariah Carey) und ein Weihnachtsmedley sorgte für Weihnachtsstimmung.
Eine 2022 sehr beliebte Weihnachtsgeschichte ist „Das Lametta“. Hier glänzte er mit einer erfrischend anderen Interpretation. Eine Besonderheit waren die Weihnachtszitate von bekennenden, berühmten Persönlichkeiten. Ihr teilweise bitter, böser Zynismus erheiterte das Publikum.
Die Musicalkollegen Alex Snova und Alexander Auler waren als Special Guests geladen, Roland Sedlacek war ihr Mann am Klavier.
Der Titel war Programm. Felix Martin bereitete den Anwesenden viel Freude mit einer abwechslungsreichen Mischung von Musical- und Weihnachtsliedern, Gedichten und Geschichten und Anekdoten Es bleibt zu hoffen, dass er auch 2023 mit seiner Weihnachtshow nach Wien kommt.
Einen Stern Abzug gibt es für die teils schlechte Abmischung beim Ton.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer;
Fotos: Wolfgang Springer
Mit MY CHRISTMAS TIME hat Felix Martin seine ganz persönliche Weihnachts-CD herausgebracht, die einen Kauf lohnt.
Erhältlich im gut sortierten Fachhandel
06.12.2022 - Theater Center Forum/ Wien
Da Jesus und seine Hawara
Das Wiener Evangelium
von Wolfgang Teuschl
„ …Und zwoa is da Jesus Christus dera Oat auf d Wöd kuman: Sei Mamsch, d Maria, is fahawad gwesn mid an gwissn Joseph; und befua s nu wos ghobd häd mid den, hod sa si aussagschdöd, das s an Gschroppm griagd; nua woa dea fon Häulichn Geisd…"
Alles verstanden? Dann sind Sie ein echter Wiener und können sich bestens bei DA JESUS UND SEINE HAWARA unterhalten. Ansonsten betreten Sie Neuland und werden nur Bruchteile verstehen und während sie noch über die Bedeutung der gesprochenen Worte nachdenken, die anderen in heiterem Gelächter ausbrechen.
Aber das Evangelium auf Wienerisch?
Wolfgang Teuschl hat 1971 mit dem Erscheinen der Übertragung des neuen Testaments ins Wienerische die Meinungen gespalten. Die einen fanden es pietätlos, die anderen als unkomplizierten Zugang zur Heiligen Schrift. Teuschl selbst argumentierte, dass Jesus selbst einen hebräischen Dialekt, Armanisch, gesprochen hat. Heute ist das Buch ein Klassiker.
Am 6. Dezember fand die Wien-Premiere mit Claudia Rohnefeld (Gesang), Peter Havlicek (Musik) und Marcus Strahl (Sprecher) im Theater Center Forum statt.
Nach Helmut Qualtinger, Kurt Sobinetz, Willi Resetarits und Wolfgang Teuschl präsentierte nun Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter Marcus Strahl das Wienerische Evangelium. Er gestaltete den Abend sehr emotional und setzte seine Stimme gekonnt ein, mal laut, dann wieder leise, dann wieder fordernd und spitzbübisch. Das Publikum hörte ihm gebannt zu.
Claudia Rohnefeld, Wienerlied-Sängerin und Schauspielerin lockerte den Abend mit weihnachtlichen, lustigen und Wienerliedern auf. Dabei zeigte sie auch die morbide Seite der Wiener Seele mit dem „Das Krüppellied“ von André Heller und Helmut Qualtinger.
Peter Havlicek begleitete den Abend ebenfalls gesanglich und vor allem instrumental mit seiner Wiener Kontragitarre.
DA JESUS UND SEINE HAWARA ist ein intimes Kammerstück, dass das Evangelium auf eine heitere wienerische Art unkompliziert und ironisch näherbringt. Die Premiere war ein gelungener vorweihnachtlicher heiterer, besinnlicher und wienerischer Abend.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Wolfgang Springer
25.11.2022 - Das Vindobona/ Wien
Somewhere In My Memory
Mit SOMEWHERE IN MY MEMORY fand bereits an zwei Abenden vor dem ersten Adventsonntag im Vindobona das wohl besinnlichste Vorweihnachtskonzert dieses Jahres statt.
Der ehemalige Musikdirektor der Vereinigten Bühne Wien, Caspar Richter, hatte ein Programm für drei Musiker:innen und drei Solist:innen zusammengestellt und arrangiert. Eine Herausforderung, denn seine Weihnachtskonzerte mit großem Musical-Orchester sind legendär. Er selbst spielte an diesem Abend Klavier. Unterstützung holte er sich von Alexander Wagendistel (Flöte) und Maria Frodl (Cello und singende Säge), beide im musikalischen Ensemble der Vereinigten Bühnen Wien.
Die Musicalstars Lisa Antoni, Carin Filipčić und André Bauer läuteten mit stimmungsvollen Liedern, Gedichten und Geschichten die Adventszeit ein.
Zwischendurch gab es immer wieder klassische Werke von Bach, Michael Praetorius oder Claude Debussy. Jungkomponist Leo Floyd hatte mit Alexander Kuchinka extra für dieses Konzert einen rasanten, witzigen X-Mas-Vibes-Song geschrieben. Zu emotionalen Höhepunkten avancierten Carin Filipčićs „Gabriellas Song“ aus dem Film (später auch Musical) „Wie im Himmel“, sowie das Duett mit Lisa Antoni „Christmas Comes to Town“ und André Bauers „Believe“, beides aus dem Animationsfilm „Polarexpress“. Der Titelsong aus „Kevin allein zu Haus“, „Somewhere In My Memory“ (John Williams) fand zu Beginn und am Ende des Konzerts einen würdigen Platz.
Doch auch das Publikum durfte unter der Anleitung Caspar Richters bei „I´m Dreaming Of A White Christmas“ sein gesangliches Talent unter Beweis stellen. Dabei stellte sich heraus, dass sich im Zuschauerraum so manch verborgenes Talent befand. Als ganz besonderes Klang-Erlebnis erwies sich bei selbigem Song die singende Säge, gespielt von Maria Frodl.
Gedichte und Geschichten, unter anderen die amüsante „Geschichte vom Lametta“, lockerten das Programm auf und sorgten für heitere Momente.
SOMEWHERE IN MY MEMORY war kein herkömmliches Mainstream-Weihnachtskonzert, sondern bot eine erlesene Auswahl an musikalischen Genusstücken aus mehreren Jahrhunderten, genau wie es sein sollte, ohne Kitsch und Peinlichkeit. Es bleibt zu hoffen, dass es eine Neuauflage 2023 geben wird.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik & Fotos: Michaela Springer
18.11.2022 - Das Vindobona/ Wien
ROTBLONDBRAUN
Liebe, L (Fr)ust und Musical
Bei Liebe, Lust und Frust bleibt nur Musical, wie „Rotblondbraun“ resümieren.
Über 30, ledig und kinderlos! Was tun? Ist eine Dating Plattform die einzige Möglichkeit den Partner fürs Leben zu bekommen? Wer sieht der perfekte Partner aus?
Humorvoll und frech wird das Thema Liebe und Männer analysiert. „Liebe, L (Fr)ust und Musical“ ist ein musikalisches Kabarett für Hetero-, Homo- und Transsexuelle und jene, die sich noch entscheiden müssen bzw. für die, die in einer Beziehung stehen oder nicht mehr oder irgendwas dazwischen haben - eben die Generation 30 plus plus plus. Untermalen wird das mit passenden Film-, Operetten- und Musicalklängen, wie „Schafft die Männer ran“, „Kann den Liebe Sünde sein“ oder „Ich gehör´ nur mir“ in a capella Version. Als Zugabe durfte das Publikum noch bei „Mamma Mia“ mitsingen.
Lena Weiss, Caroline Zins und Agneta Hanappi wurden von Birgit Zach am Klavier begleitet. Gemeinsam sorgten sie für einen rundum gelungenen und unterhaltsamen Abend.
Am 9. März 2023 ist ein weiterer Termin im Vindobona angesetzt. 5 von 6 Sternen: ★★★★★ |
31.10.2022 - Das Vindobona/ Wien
HALLOWEEN DINNER
Ende Oktober wurde es für drei Tage schaurig-gruselig im Vindobona. Ein Halloweenfest für alle Sinne stand auf dem Programm. Für das passende Ambiente wurde alles themengerecht und detailverliebt gestaltet, das dreigängige Menü originell und dekorativ angerichtet - ein wahrer Gaumen Genuss. Schon zu Beginn zeigte sich das Publikum bei bester Laune. So manch eine(r) kam kreativ und aufwendig verkleidet.
Vier Musicaldarsteller*innen nahmen das Publikum auf einen Streifzug durch die gruselige Musical- und Austro Pop-Welt mit. Rita Sereinig hielt als Regisseurin ihr eiskaltes Händchen über das Programm. Antje Kohler, Tanja Petrasek, André Bauer und Markus Richter wurden von Andreas Brencic am Klavier begleitet.
Ob „Tanz der Vampire“, „Jekyll & Hyde“, „Phantom der Oper“ oder „Rocky Horror Show“, die Songs daraus wurden stimmgewaltig dargeboten. Natürlich durften bei so einem Abend die Klassiker „Es lebe der Zentralfriedhof“, „Monster Mash“, und „This is Halloween“ nicht fehlen.
Erst nach mehreren Zugaben durften sich die Protagonistinnen und Protagonisten in ihr Kämmerchen hinter der Bühne zurückziehen. Das HALLOWEEN DINNER im Vindobona war auch 2022 ein voller Erfolg.
5 von 6 Sternen: ★★★★★ Kritik & Fotos: Michaela Springer |
27.10.2022 - Komödie am Kai/ Wien
Seitensprung für zwei
24 Jahre Ehe hinterlassen Spuren. Die einst prickelnde Erotik ist der Vertrautheit, Gemütlichkeit aber auch Eintönigkeit gewichen. Doch was ist es, was in einer lang andauernden Beziehung wirklich zählt? Auf höchst amüsante Weise werden die verschiedenen Aspekte thematisiert.
Am 24. Hochzeitstag schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Alles hat seine geordnete Struktur und läuft nach gleichem täglichem Schema ab, bis die gemeinsamen Freunde Rudi und Simone auf Besuch kommen. Beide sind eingefleischte Junggesellen und genießen dies in vollen Zügen. Sie schwärmt von ihrem leichten, unbeschwerten Leben voller prickelnder Affären. Der Reiz der wechselnden Partner sei ein unbeschreiblicher Kick, auf den sie nicht verzichten möchten. Haben Leah und Paul in ihrer Ehe was versäumt? Auf Drängen und mit Hilfe ihrer Freunde wollen mittels eines geplanten Seitensprungs neuen Schwung in ihre verstaubte Ehe bringen.
Das ist aber gar nicht so leicht, wenn man keine Erfahrung hat und im Grunde gar keinen Seitensprung im Sinn hat. Schon der Gedanke daran, löst rasende Eifersuchtsgedanken aus. Und auch bei der Wahl des Seitensprungpartners beweisen die beiden kein glückliches Händchen.
Das Grimme preisgekrönte Autorenduo Lars Albaum und Dietmar Jacobs haben eine rasante pointenreiche Boulevard Komödie geschrieben, die unter der Regie von Sissy Boran und Andrea Eckstein am 27.10 Premiere in der Komödie am Kai feierte.
Die Darsteller:innen passen perfekt in ihre Rollen. Die bewusst überzeichneten Figuren charakterisieren bestimmte Stereotypen. Eine auf österreichische zugeschnittene Sprachkomik gepaart mit Slapstick macht Spaß beim Zusehen.
Robert Mohor ist der „Aufreißer“ Rudi, ein Möchtegern Playboy und voller Selbstüberschätzung strotzend. Köstlich, wie er mit Tipps den unschuldigen Paul in die Kunst der Verführung einweiht.
Natascha Shalaby ist das in die Jahre gekommene It-Girl. Sie erinnert stark an Maryann Thorpe aus der Serie „Cybill“. Glamour und Spaß ist ihr Leben, doch im Grunde ist sie eine unglücklich Suchende.
Anke Zisak und Rochus Miller sind das in Wahrheit glückliche Ehepaar Leah und Paul, das von den Affären Sandy (Lara Neversal) und Adonis (Rafael Witak) beneidet wird.
SEITENSPRUNG FÜR ZWEI ist ein exzellentes Stück, um dem Alltag zu entfliehen und einen amüsanten Abend zu genießen.
Zu sehen noch bis 14. Jänner 2023.
Kartentelefon: 01/ 533 24 34 * www.komoedieamkai.at
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Andrea Eckstein
22.10.2022 - Stadttheater Baden/ NÖ
NEUN (NINE)
Österreichische Erstaufführung
NINE (dt. NEUN) ist das Musical über einen frauenfixierten Mann in seiner Midlifecrisis, der vom Erfolg bis jetzt verwöhnt war, und nun am Abgrund seiner Existenz steht. Seine tiefe Lebenskrise versucht er in einer Art Selbsttherapie durch Tagträume zu überwinden.
Am 22. Oktober feierte NEUN, das mit 5 Tony Awards ausgezeichnete Musical, im Stadttheater Baden seine österreichische Erstaufführung. Das Stück basiert auf dem Film „8 ½“ von Federico Fellini. Die Musik stammt von Maury Yeston.
Guido Contini, ein erfolgsverwöhnter Drehbuchautor, steckt in einer Lebens und Schaffenskrise. Er soll einen neuen Film drehen. Doch es fehlt ihm die nötige Inspiration.
Seit 20 Jahren ist es mit Luisa verheiratet, die bislang seine Affären geduldet hat, ihm aber jetzt ein Ultimatum stellt. Er kann sich allerdings nicht für eine Frau entscheiden. Die für ihn wichtigen erscheinen immer wieder in Tagtraumsequenzen und schon bald vermischt sich Realität und Illusion . Er dirigiert sie, wie er es für sein Ego braucht. Was die Frauen fühlen ist ihm im Grunde egal. Seine Selbsttherapie nimmt groteske Züge an, aber dennoch mit einer gewissen Leichtigkeit. Ein roter Faden fehlt und die Charaktere sind, bis auf wenige, nicht tief gezeichnet. In seinem Wunschdenken ist er das Epizentrum und die Frauen werben mit Körper, Geist und Liebe um ihn.
NEUN ist vor allem ein Stück großer Schauspielkunst, das dementsprechend besetzt werden muss. So erscheint in der Besetzungsliste die Creme de la creme der österreichischen Musicalszene auf. Lediglich auf Carin Filipčić, die zwar bei der konzertanten Aufführung im Sommer 2021 dabei war, musste wegen eines Engagements in Deutschland verzichtet werden.
Acht starke Frauen brauchen umso mehr einen starken Gegenpool. Drew Sarich als Guido Contini ist eine Idealbesetzung, eine Mischung als kindlicher Naivität und Genialität, jedoch von Selbstzweifeln und Unsicherheit geplagt. Er ist ein Suchender nach Anerkennung und Liebe, Liebe, die er bei seiner Frau und Geliebten sucht. Diese beiden sind gänzlich konträr.
Dorina Garuci als Geliebte Carla Albanese ist temperamentvoll und erotisch. Verführt ihn bei einem lasziven Tanz mit großen Seidenlaken. Sie lässt sich für ihn scheiden, doch das wollte er überhaupt nicht, denn er ist nicht willens, seine Frau für sie zu verlassen.
Milica Jovanovic, gibt die, durch Maske bieder dargestellte, Ehefrau Luisa Contini, die ihm über all die Jahre eine Stütze war. Doch nun, von Wut über Guidos ständige Affären erfüllt, setzt sie ihm ein Ultimatum.
„Auf besonderes Weise“ ist das Verhältnis zu seiner Muse, der Schauspielerin Claudia Nardi (Ann Mandrella). Sie ist eine besondere Erscheinung in der tristen Kulisse. Er braucht sie für seine Kreativität. Doch auch Claudia hat sich weiterentwickelt und wendet sich von ihm ab.
Die Rolle der Mutter bleibt sehr blass und oberflächlich. Andrea Huber versucht das Möglichste herauszuholen.
Jacqueline Braun als Hure Sarraghina vermittelt dem neunjährigen Guido (mit klarer und sicherer Stimme Joel Gradinger), dass er aufs Ganze gehen soll. Sie ist liebevolle, fast mütterliche, nicht vulgär und billig.
Die Produzentin, spielt Patricia Nessy. Mit ihrem charmanten Boa Auftritt erinnert sie an „My Fair Lady“.
Wietske van Tongeren als Kritikerin Stephanie Necrophorus zeigt mit ihrem Song „Cinema Italiano“ die schwarz-weißen Seiten des Filmgeschehens auf.
Anna Overbeck als Chefin der Zimmermädchen reiht sich in die Riege der starken Frauen ein.
Das graue Bühnenbild von Karl Fehringer und Judith Leikauf spiegelt das momentane Seelenleben Guidos, geprägt von düsteren Momenten bis hin zu Selbstmordgedanken, wider.
Die Inszenierung von Ramesh Nair ist eine gelungene Gradwanderung zwischen Realität und Traum, Groteske und Normalität. Seine Choreografien sind schwungvoll, kreativ und stets passend eingesetzt.
Die Musik ist gefällig, jedoch bleibt keine Melodie wirklich im Gedächtnis. Christoph Huber hat die abwechslungsreiche Partitur Yestons wunderbar für die unterschiedlichen Instrumente seiner Musiker*innen ausbalanciert.
NEUN ist kein Mainstream Stück. Trotz humoristischer Szenen und witziger Wortgeplänkel werden auch ernstere Töne angeschlagen, welche zum Nachdenken anregen.
Mit dem Musical NEUN hat die Bühne Baden erneut einen Hit gelandet.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Wolfgang Springer; Fotos: Lalo Jodlbauer
19.10.2022 - Schönbrunner Stöckl/ Wien
Trojani & Schenk - BRAVO!
Am 26. August 1956 erschien das erste BRAVO Heft mit Marilyn Monroe auf der Titelseite. Schon bald wurde das Magazin Kult und prägte ganze Generationen.
Am 19. Oktober 2022 fand die Premiere der neuesten Musik-Show - BRAVO! - der Künstlerwirtsleut´ Tamara Trojani und Konstantin Schenk im Schönbrunner Dinnertheater im Schönbrunner Stöckl statt. Mit BRAVO! feiern die beiden Künstler einerseits 5 Jahre Schönbrunner Dinnertheater und andererseits 25 Jahre ihrer künstlerischen Zusammenarbeit.
Sopranistin Tamara Trojani und Pianist, Komponist und Dirigent Konstantin Schenk lassen nun bunt, schrill und höchst amüsant auf ihre ganz persönliche Art und Weise diese Hippie-Zeit in einer Dinnershow Revue passieren. Sie schwelgen in Erinnerungen und plaudern persönliches aus dem Nähkästchen. Es war die Zeit des falschen Kaviars und Shrimps Cocktail, Wackelkopfhund und Häkeldeckchen im Auto, der Karottenhosen und den großen, teilweise melancholischen Liedern, etwa von Hildegard Knef oder Katja Epstein. Von den Eltern verpönt, wurde das Heft oftmals heimlich gelesen, avancierte jedoch zum beliebtesten Jugendmagazin im deutschsprachigen Raum. Die berühmten Starschnitte, bei dem in jeder Ausgabe neue Teile ergänzt werden konnten, waren eine geniale Anbindung für die LeserInnen. Die erotischen Ratschläge von Dr. Sommer durften ebenfalls nicht fehlen. Einige amüsante haben das Künstlerpaar für ihr Programm ausgegraben. Zudem deckte BRAVO den aktuellen Musik- und Modesektor ab. So schrill und bunt die Mode war, so spiegelte sich dies in der Dinnershow wider, die keinen Anspruch auf Perfektionismus oder Intellektualität stellt. Kleine Hoppalas werden charmant korrigiert. Die ZuschauerInnen fühlen sich stets gut unterhalten.
Für die musikalische Darbietung sorgte Tamara Trojani, deren Stimme vier Oktaven umfasst und mit der sie weltweit erfolgreich unter unterem in „Tosca“, und „Die lustige Witwe“, glänzte. Am Klavier oder als Gesangspartner fungierte Konstantin Schenk, Sohn von Otto Schenk. Er dirigierte bereits auf der ganzen Welt. Sein Repertoire umfasst 50 Opern. Sein Handwerk erlernte er etwa als Assistent von Herbert von Karajan. Zwischen den Songs und Erzählungen gab es das auf die Zeit perfekt abgestimmte Menü, welches den Abend kulinarisch abrundete.
4 von 6 Sternen: ★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Roman Wiehart
08.10.2022 - Ronacher/ Wien
Disneys DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME
Österreich Premiere
Victor Hugos Roman DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME“ von 1831 zählt zu den Hauptwerken der französischen Romantik. Wie jeder Romantiker liebte der Autor auch das Mittelalter und bediente sich dessen Einfluss mit Verfolgung, Folter und Leidenschaft. Zugleich ist er sehr gesellschaftskritisch, besonders in Bezug auf die Kirche, die ihre Macht ausnutzt. Der Roman wurde ein Sensationserfolg, obwohl die Kirche die Veröffentlichung verbot, weil dieser zu sinnlich sei. Er wurde mehrmals verfilmt und diente als Vorlage für eine Oper und ein Musical, welches aus dem Disney Animationsfilm von 1996 entstand.
Am 8. Oktober feierte dieses seine österreichische Erstaufführung im Wiener Ronacher.
Aber gab es Quasimodo wirklich? In der Tate Gallery wurde ein Schriftstück über einen buckeligen Steinmetz gefunden, der bei der Restaurierung von Notré Dame beschäftigt war und der an einer Rückendeformation, Kyphose genannt, litt. Da dies in der Zeit war, wo Victor Hugo sein Werk verfasste, kann es durchaus sein, dass er ihm als Inspiration gedient hat.
Das Musical hält sich an den Roman und nicht an die Disney Filmversion, in der Claude Frollo ein Richter ist, sondern wie im Original, Erzdiakon. Obwohl das Musical Disneys DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME heißt, hat man den Eindruck, dass es eigentlich in erster Linie um Frollo geht.
Andreas Lichtenberger ist ein charismatischer Geistlicher, der geplagt von seiner inneren Zerrissenheit ist.
Doch er ist nicht nur durch und durch böse. Er ist ein sehr vielschichtiger Charakter. So liebt er seinen Bruder und kümmert sich gewissermaßen um seinen Neffen. Gegen die Roma greift er hart durch. Er sieht sie als Wurzel alles Übels, die ausgerottet werden müssen. Doch ausgerechnet in eine solche Zigeunerin verliebt er sich.
Sein „Feuer der Hölle“ brennt nicht nur lichterloh, sondern ist ein Highlight des Abends. Lichtenberger hat eine starke Bühnenpräsenz, welche die Rolle noch mächtiger und gefährlicher erscheinen lässt. Frollo ist regelrecht besessen von Esmeralda, was einen inneren Kampf in ihm zwischen Gelübde und Gelüste zu Esmeralda hervorruft. Anfangs empfindet er es noch als Prüfung Gottes, doch sein Verlangen wird immer größer und krankhafter bis zu dem Punkt, an dem er sie sterben lässt, wenn sie sich ihm verweigert. Doch Esmeralda liebt Phoebus.
Dominik Hees spielt solide den Offizier Phoebus de Martin. Die Maske ist nicht gerade vorteilhaft, sein langes, strähniges und fettiges Haar lassen Frollo optisch attraktiver erscheinen. In dem Fall muss Liebe blind machen, sonst hätte sich Esmeralda für den Erzdiakon entschieden.
Am Ende muss aber auch er ohne seine Geliebte weiterleben.
Abla Alaoui Ist eine liebreizende, gesanglich überzeugende Esmeralda, die aber zu brav wirkt. Ab und zu könnte sie mehr das Temperament einer Zigeunerin zeigen. Gekonnt spielt sie jedoch die verführerische Roma, die aber doch keusch bleiben möchte.
Einfallsreich ist hier die Inszenierung beim Fest der Narren. Mit steifen Tüchern bei einzelnen Passagen ihres Tanzes, erzielt man einen Slow Motion- oder Erstarrtheit-Effekt.
Aber auch der taube Quasimodo verliebt sich in die schöne Esmeralda. David Jacobs stellt die Figur des Buckeligen sehr fein und sensibel dar. Äußerlich eine schreckliche Gestalt, innerlich rein und gutmütig. Er ist der Prototyp, dass wahre Schönheit im Inneren des Menschen zu finden ist und man sich nicht durch die äußere Erscheinung blenden lassen soll. Zurückgezogen und Frollo untertänig hat er nur die Steinfiguren als Freunde, bis Esmeralda in sein Leben tritt und ihm das wahre Leben zeigt. Mit „Draußen“ schafft David Jacobs einen Gänsehautmoment. Mit seinen Ängsten, Sehnsüchten, seiner Verletzlichkeit und Stärke berührt er zutiefst. Man möchte ihn regelrecht in den Arm nehmen und beschützen vor der grausamen Welt, denn ein Happy End gibt es für niemanden. Umso ergreifender die Schlussszene, in der er nur im Tod mit ihr vereint sein darf.
Die Inszenierung von Scott Schwartz ist technisch perfekt und einfallsreich. Der sehr beworbene Chor ist nicht wirklich notwendig, aber auch nicht neu. Dieser wird in allen Produktionen rund um den Erdball zur Verstärkung eingesetzt. Das Ensemble hätte diesen locker ersetzten können.
Teilweise ist das Stück schleppend und einzelne Szenen unnötig in die Länge gezogen. Die Musik von Alan Menken beinhaltet mehrere Ohrwürmer inclusive große Balladen und Ensemblenummern. Die Texte dieser, gegenüber dem Animationsfilm, reiferen Inszenierung regen zum Nachdenken an. Aus Schutz der Jugend sollte man jedoch aufgrund einiger verstörender Szenen das Alter auf 12 Jahren hochschrauben oder zumindest mit den Kindern danach darüber sprechen.
Mit Disneys DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME und REBECCA laufen nun zwei Produktionen bei den VBW, welche auch eine weitere Anreise lohnen.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer
04.10.2022 - Das Vindobona/ Wien
LADIES NIGHT
Kein Job, kein Geld, keine Aussicht
Wir befinden sich in der tiefsten Provinz Niederösterreichs, in einem Hinterzimmer eines Gasthauses, der auch schon bessere Zeiten erlebt hat. Sechs arbeitslose Fabriksarbeiter treffen sich dort regelmäßig, um ihren gemeinsamen Kummer mit Bier hinunterzuspülen. Aber eines wissen sie ganz genau, sie wollen keine Dauerkunden beim AMS werden. Als sie in einer Zeitung einen Artikel über äußerst erfolgreiche Stripteasetänzer lesen, sind sie überzeugt, dass sie das auch können. Bis auf Amir, dem jungen Bosnier, sind sie alle keine Adonis, aber Ausstrahlung würde ohnehin mehr zählen als ein Sixpack. Auch wenn sie grau, weiß oder haarlos sind und sie eher eine Teddybär Figur haben, wollen sie als Stripteasetänzer durchstarten. Anfängliche Bedenken werden zur Seite geschoben, Erfolg und Geld sind ihr Antrieb, um ihre Hemmungen zu überwinden. Welch Glück, dass die Kellnerin eine ehemalige Tänzerin war. Vor ihr liegt aber eine Menge Arbeit, denn ihre Vorstellung eines Striptease ist eher abtörnend. Aufklärungsarbeit ist angesagt, auch wenn sie sich anfangs noch widersetzen. Als ihr erster Auftritt ihnen 1 Millionen YouTube Klicks erfährt, fühlen sie sich als Stars mit den dazugehörenden Allüren. Nur zu dumm, dass sie die Kommentare unter dem Video nicht gelesen haben. Die Klicks bezogen sich nicht, wie angenommen, auf ihre erotische Performance, sondern sie werden als
Lachnummer gehandelt. Doch sie haben ein Ziel vor Auge, und das wollen sie erreichen. Durch Beziehungen ihrer „Lehrerin“ zu ihrem Ex, bekommen sie die Chance in einem Szene-Club in Wien aufzutreten. Nun können die sechs zeigen, was wirklich in ihnen steckt.
Das Vindobona zeigt die Berndorfer Fassung von Robert Kolar. LADIES NIGHT ist ein amüsantes Theaterstück mit kleinen Längen und zu vielen Slapstick Momenten im zweiten Teil. Die Charaktere sind bewusst überzeichnet und klischeehaft.
Christoph von Friedl ist der Animateur der Gruppe, der selbst zu Beginn nicht aktiv auf die Bühne möchte.
Werner Brix als Wolfi ist der Sarkastische, der den Blick auf die Realität nicht verliert, schlussendlich aber zu seinen Freunden steht.
Reinhold G. Moritz gibt den Altrocker, cool und lässig. Das Erlernen seines Tanzes ist ein komödiantisches Highlight, bei dem kein Auge trocken bleibt.
Robert Kolar hat die Rolle des stotternden Pauli übernommen, der voller Eifer dabei ist. Sein Auftritt in Leggins ist ein optischer Fehlgriff, der amüsierte.
Martin Bermoser ist von Zweifel und Nervosität geplagt, auch wegen seiner versteckten Homosexualität, und steht ständig unter Strom.
Thomas Höfner spielt den Muslim Amir, dessen Familie nichts erfahren darf, da er Angst hat verstoßen zu werden.
Die Truppe zu unterrichten ist die Aufgabe von Maggie, gespielt von Linda Hold, die mit einem sexy lasziven Vortanzen beeindruckte.
Der Wiener Manager wird von Wolfgang Fifi Pissecker gespielt. Er steigt er gegen Schluss ins Geschehen ein und hat somit nur einen kurzen Gastauftritt.
Das Finale ist ein perfekt choreographierter Strip bis zum blanken Ende unter mitreißender Musik und dem Toben der vorwiegend weiblichen Zuschauer.
Unter der Regie von Viktoria Schubert entstand ein unterhaltsamer Abend, mit Momenten zum Nachdenken: Existenzprobleme, die zu Eheproblemen führen, aber mit der Quintessenz, dass man durch Freundschaft viel erreichen kann, wenn man nur daran glaubt und sein Ziel verfolgt.
Wer seine Sorgen einmal außen vorlassen möchte, wird im Vindobona bei LADIES NIGHT fündig.
Kritik & Fotos: Michaela Springer Bis 6. November steht das Stück noch auf dem Spielplan. |
01.10.2022 - Das Vindobona/ Wien
SOUND OF YOUTH!
DAS VINDOBONA auf der Suche nach Musical-Talenten
Am 1. Oktober startete DAS VINDOBONA mit einer neuen interessanten Musical-Reihe. Im Obergeschoss des Café-Restaurants bietet man ab sofort jungen Menschen die Möglichkeit, ihre gesanglichen Fähigkeiten vor einem kleineren Publikum zu zeigen. Der Eintritt für Gäste ist kostenlos. Die Gastronomie muss nicht genutzt werden, doch laden die angebotenen kleinen und größeren Gerichte zur Konsumation ein. Unter der Getränkevielfalt sind die Melange und die selbstkreierten Säfte empfehlenswert.
Den Anfang für diese Musical-Reihe machten Antonia Tröstl (23), Natalie Gugler (26), Corinna Schaupp (23), Thomas Pruckner (28) und Nicolas Vinzenz (19). Das Programm war bunt, aber wenig durchdacht. Kein roter Faden, zu wenig schnelle Nummern, zu viele Balladen, keine Erklärungen zu den, zumeist in Englisch gesungenen, Liedern aus eher unbekannten Musicals. Ein Gleichgewicht bei der Liederauswahl wäre wünschenswert gewesen.
Der Enthusiasmus war den fünf sympathischen Protagonist*innen wohl anzumerken, doch jede(r) hatte mit gesanglichen Defiziten zu kämpfen, die auch darstellerisch nicht wettzumachen gewesen wären. Zeitweise wurden Gefühle falsch eingesetzt, wie etwa bei „Stars” aus „Les Misérables”. Inspektor Javert ist besessen auf der Jagd nach Jean Valjean. Das Lied soll seine Wut und Verzweiflung zum Ausdruck bringen, den Flüchtigen nicht fassen zu können. An ein Anhimmeln der Sterne hatten die Autoren des Stückes wohl eher nicht gedacht.
Ebenso bei „Mut zur Tat” aus „Rudolf - Affäre Mayerling”. Dies ist keine Liebesballade, sondern drückt die Entschlossenheit des Kronprinzen aus, sich endlich von seinem Vater zu lösen und privat und politisch eigene Wege zu gehen.
Manche Lieder eignen sich auch nicht für Klavierbegleitung, wie etwa „A Better Version” aus „36 Questions” und „Dead Mom” („Beetlejuice”).
Positiv sei jedoch zu erwähnen, dass die Stimmen zumindest im Kollektiv eine gewisse Harmonie aufwiesen.
Auch wenn diesmal keine großen Talente zu hören und sehen waren, bietet dieses neue Konzept, der nun regelmäßig stattfindenden Konzertabende, die Chance, ungeschliffene Diamanten zu entdecken.
Auf eine Sternebewertung sei diesmal verzichtet.
Kritik: Wolfgang Springer; Fotos: Michaela Springer
23.09.2022 - Musiktheater/ Linz (OÖ)
ANASTASIA
Österreichische Erstaufführung
Das Musical stammt von Terrence McNally (Buch), Stephen Flaherty (Musik) und Lynn Ahrens (Gesangstexte) und wurde von Ruth Deny (Dialoge) und Wolfgang Adenberg ins Deutsche übertragen. Inspiriert wurde es durch den 1997 bei Twentieth-Century-Fox erschienenen Animationsfilm.
Anastasia – ein langanhaltendes mystisches Geheimnis umgab diesen Namen lange Zeit und verleitete zu vielen Theorien, die mit tiefer Hoffnung verbunden waren. Hat Anastasia, die jüngste Tochter des Zaren Nikolaus, als einzige das Massaker vom 17.Juli 1918 überlebt? Ein Wunschdenken vieler, was so manche Schwindlerin bewogen hat, sich als Anastasia auszugeben.
Berühmtestes Beispiel war Anna Anderson, die in Wahrheit Franziska Schanzkowska hieß und eine polnisch-deutsche Fabrikarbeiterin aus Pommern war. Sie wurde am 17.2.1920 aus dem Wasser gerettet, wo sie von einer Brück gesprungen war. In der Irrenanstalt erkannte eine Pflegerin sie als Anastasia. Bis dahin ohne Erinnerung und damit konfrontiert, gab sie sich von nun an als Anastasia aus, obwohl sie kein Wort russisch sprach. Viele russische Adelige wollten die Geschichte glauben, in der Hoffnung die Romanows würden wieder auf den Thron zurückkehren. Die wahre Identität dieser Anna blieb bis zur DNS-Analyse unbelegt. Erst dann konnte eindeutig festgestellt werden, dass sie nicht die letzte Zarentochter war. Anastasia ist, wie ihre Eltern und Geschwister im 20-minütigen Massaker ums Leben gekommen. Durch die eingenähten Schmuckstücke in den Kleidern, starben die Töchter nicht sofort an den Schüssen, sondern wurden mit Bajonetten zu Tode gestochen. Die Zarin wurde mit einem Kopfschuss hingerichtet. Die Körper wurden auf einem LKW verfrachtet und in eine Mine gebracht. Hobbyhistoriker wollten dieses Rätsel in den 70-iger Jahren lösen, schwiegen aber bis 1991. 1998 fand die Zarenfamilie endlich ihre letzte Ruhe und wurden in der Sankt Petersburg beigesetzt, bis auf den Zarewitsch und der vierten Tochter, deren Gräber erst 2007 gefunden wurden. Viele Historische Fragmente wurden zuerst im Animationsfilm und in Folge auch im Musical verarbeitet, wie etwa der Diamant, der in ihrer Wäsche gefunden wurde oder dass sie sich an nichts erinnern kann.
Im Zeichentrickfilm lieh Jana Werner Anastasia die Singstimme. Sie diente als Vorlage für das Musical. So wurden einige Songs in das Bühnenstück übernommen. Statt Rasputin aber gibt es den Politkommissar Gleb, der den Bösewicht des Stückes mimt. Dieser soll das Werk seines Vaters, welcher den Oberbefehl innehatte, die Zaren Familie zu töten, hatte, vollenden. Dies macht das Stück realer, aber die mystische Komponente fällt weg. Im Film steigt Rasputin aus dem Totenreich empor, um Rache zu nehmen. Hinsichtlich, dass er angeblich mehrere Mordanschläge in einer Nacht überlebt hatte, bis er ertrank und seine Prophezeiung „Solange ich lebe, wird auch die Dynastie leben“, die aber bereits zwei Monate nach seinem Ableben nach einer 300-jährigen Herrschaft endete, hat etwas viel Mystischeres.
Die Inszenierung von Matthias Davids verzichtet darauf, auf die aktuelle Invasion Russlands in der Ukraine Bezug zu nehmen, was auch unpassend wäre. Er konzentriert sich ganz auf die Zeit nach dem Putsch und deren Gegebenheiten. Das spiegelt sich auch im Bühnenbild von Andrew D. Edwards. Es ist karg und mit wenig Lichteffekten (Michael Grundner). Das neue Leningrad ist trostlos und ohne Glanz. Jeder bespitzelt jeden und alles, was es zu verkaufen gibt, wird verkauft. Gaunerei übernimmt die Oberhand, der Hass auf die Aristokratie wächst, sodass sie zur Flucht gezwungen wird. Die neue Partei, in rotes Licht getaucht, strahlt nur erbarmungslose Kälte aus. Aber auch im Etablissement der Zarenmutter in Paris spiegelt sich verlorener Glanz. Nur die Eleganz und Grazie der Zarenmutter selbst lässt den ehemaligen Glamour und die Macht des Herrschergeschlechtes der Romanows erahnen. Was man von Jakobs diesmal vermisst, sind gute Regieeinfälle in Kombination mit dem kargen Bühnenbild. Beim Ansehen des Stücks wären einem selbst einige interessante Ideen in den Sinn gekommen.
Anastasia ist die Suche einer jungen Frau zu sich selbst. Wer ist sie, wer ist ihre Familie. Ein nicht definierter Drang treibt sie nach Paris. Warum, weiß sie nicht. Nur diese innere Sehnsucht lässt sie nicht los. Sie ist keine Gaunerin, sondern eine Suchende, naiv und ehrlich. Eine leichte Beute für zwei Gauner, die es auf die Belohnung abgesehen haben. Dimitri und Wlad sind keineswegs eiskalte Schurken, sondern eigentlich in ihrer Art liebenswürdig.
Das Musical bedient sich vieler Klischees. Die Dekadenz des Zaren Hofes, den russischen Schwermut und den Freigeist der Zwischenkriegszeit, besonders in Paris, frech und frivol als gäbe es kein Morgen. Kim Duddy findet dazu stets die dazu passende Choreografie.
Hanna Kastner ist die unschuldige, naive Anastasia. Sie überzeugt in ihrer Wandlung zur starken selbstbewussten Frau, sowohl in Stimme als auch schauspielerisch.
Lukas Sandmann, der liebevolle Straßenjunge Dimitri, und Karsten Kenzel als Wlad sind das Gauner Duo, das ihr Herz am rechten Fleck hat.
Herausragend agiert Daniela Dett als Zarenmutter. In all ihrem Verlustschmerz und den vielen Enttäuschungen behält sie ihre Würde.
Die Gräfin Lily, welche die Zarenmutter nach Paris begleitet hat, wird in Linz von Judith Jandl verkörpert. Mit einem Schuss Sexappeal, ordentlich Schwung in den Hüften und Gold in der Kehle treibt sie sich gerne im Nachtclub der Aristokratinnen und Aristokraten herum und lässt sich umschwärmen, bis sie hier ihren ehemaligen Geliebten Wlad wieder trifft. Sehr schön ihr Duett „Die Gräfin und der Bürgersmann“.
Nikolaj Alexander Brucker hat als Politkommissar Gleb die am feinsten ausgearbeitete Charakterrolle, welche zudem die spannendste im Stück ist. Er ist innerlich zerrissen zwischen der Pflicht auch die letzte Romanow töten zu müssen und sie ziehen zu lassen. Er ist nicht nur der Böse, er wurde auf Gehorsam gedrillt, doch es widerstrebt ihm, Anastasia zu töten, was Bruckner sehr emotional darstellt. Denn es gibt nicht nur Schwarz und Weiß.
Das Musical orientiert sich sehr stark am Animationsfilm, dadurch sind die im Film vorkommenden Figuren sehr plakativ charakterisiert. Der Filminhalt von ca. 90 Minuten wurde auf Musicallänge aufgezogen, sodass einige Szenen unnötige Längen aufweisen. Die Leistung des spielfreudigen Ensembles fällt durchwegs positiv auf. Man muss sehr wohl zwischen der Leistung der Protagonist*innen und den Rahmenbedingungen des Musicals differenzieren, die bei weitem nicht die Qualität des Filmklassikers aufweisen können. Die eher uninspirierte Inszenierung in dem schalen Bühnenbild bringt hier leider auch nicht wirklich Esprit auf die Bühne. Die Darsteller*innen, die schwungvollen Choreografien und das glänzend aufspielende 15-köpfige Orchester unter der musikalischen Leitung von Tom Bitterlich, welches die eingängigen Melodien wunderbar intoniert, trösten ein wenig über die Schwächen des Stücks und deren optische Erscheinung hinweg.
Auch nach so vielen Jahren, in der die Wahrheit bekannt ist, fasziniert die Geschichte Anastasias. Das Märchen einer überlebenden Zarentochter wäre doch auch zu schön.
4 von 6 Sternen: ★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Reinhard Winkler
22.09.2022 - Raimund Theater/ Wien
REBECCA
Rückkehr nach Wien
Über 2 Millionen Menschen in 12 verschiedenen Ländern haben den Musicalthriller von Sylvester Levay und Michael Kunze bereits erlebt. 16 Jahre nach der Welturaufführung kehrte REBECCA nach Wien zurück.
Der gleichnamige Film aus dem Jahre 1940 mit Joan Fontaine und Laurence Olivier wurde in 11 Kategorien für den Oscar nominiert und gewann diesen für den besten Film und beste Kamera. Es war der erste in Hollywood gedrehte Film von Alfred Hitchcock, mit dem er allerdings nicht zufrieden war. Er sagte später in einem Interview: „Das ist kein Hitchcock-Film. Es ist eine Art Märchen und die Geschichte gehört ins ausgehende neunzehnte Jahrhundert. Es ist eine ziemlich vorgestrige, altmodische Geschichte. Es gab damals viele schriftstellernde Frauen. Dagegen habe ich nichts, aber Rebecca ist eine Geschichte ohne Humor“.
Schwerpunkte im Film, wie im Musical ist die Identitätssuche einer jungen Frau und die homoerotische Beziehung zwischen Rebecca und Mrs. Danvers. Regisseurin Francesca Zambella, die bereits bei der Welturaufführung die Regie inne hatte, baut diese filmisch rasant auf, setzt teilweise auf Schwermut, bleibt aber größtenteils konservativ.
Nienke Latten gibt mit der Rolle der Ich ihr Wien Debüt. Schauspielerisch überzeugt sie in der Entwicklung von der naiven, schüchternen Gesellschafterin zur selbstbewussten Herrin von Manderley. Ihr Spiel ist natürlich und nie überzeichnet. Ihre Klangfarbe erfüllt ganz den Anforderungen, wenngleich man in manch kräftigeren Passage das Gefühl hat, dass die Stimme wegbricht.
Die Figur des Maxim de Winter ist eine Paraderolle für Mark Seibert. Ein galanter Gentleman mit einer zwiespältigen Persönlichkeit. Seine junge Frau soll ihn Rebecca vergessen lassen, die er zutiefst gehaßt hat. Erinnert sie ihn dennoch an sie, erwachen Dämonen in ihm. Er wird unberechenbar, tobt und schreit zügellos. Gewollt oder ungewollt verletzt er seine junge Ehefrau, die nichtsahnend von seiner schweren Last ist. Er behandelt sie wie ein kleines Kind. „Kein Lächeln war je so kalt“ ist Seiberts gesangliches Highlight, bei dem er seinen starken Gefühlen scheinbar unkontrolliert freien Lauf lässt, ein emotionaler Höhepunkt, der zugleich auch die Wendung in der Beziehung zu seiner zweiten Frau ist. In diesem Augenblick verschwindet das Kind in ihr und sie wird zur selbstbewußten Frau. Es erschüttert sie nicht, dass ihr Mann ihr den Mord an Rebecca gesteht. Sie beteuert erneut ihre Liebe zu ihm. Das ist der Moment, wo das Machtverhältnis wechselt. Nun fühlt sie sich stark genug die Position der Herrin von Manderley zu übernehmen, was im Spiel von Latten und Seibert sehr schön herausgearbeitet ist. Beim Abgang ist sie seine Stütze.
Die diabolische Gegenspielerin ist die Haushälterin Mrs. Danvers, verkörpert von Willemijn Verkaik. Sie begibt sich auf eine grandiose Gradwanderung zwischen ergebener Liebe zu Rebecca, die einer Vergötterung gleicht und dem intriganten Spiel jegliches Eindringen in deren Reich zu unterbinden. Buchautorin Daphne du Maurier hat auch immer stets betont, dass dies eine Studie über Eifersucht sei. Verkaik interpretiert „Sie ergibt sich nicht“ als erotische Schwärmerei, zärtlich und doch voller Kraft und Leidenschaft und sorgt so für Gänsehautmomente. Sie trägt das Stück mit ihrem mystisch dämonischen Charme und ausdrucksstarker Interpretation. Stets schwingt eine Bösartigkeit gegenüber der neuen Mrs. de Winter und der Hang zum Wahnsinn mit, deren Höhepunkt die Balkonszene mit Ich und dem Finale sind.
Ana Milva Gomes Spiel als Mrs. van Hopper wirkt anfangs sehr aufgesetzt. In Folge glänzt sie jedoch mit dem Showstopper „I´m an American Woman“.
Den Gutsverwalter und besten Freund von Maxim ist Frank Crawley. Mit James Park hat man die Figur passend besetzt. Der ausgebildete Opernsänger hinterließ schon in „Miss Saigon“ als Thuy einen positiven Eindruck. Hier bei REBECCA darf er sich von seiner sympathischen Seite zeigen.
In der Rolle des Ben ist Aris Sas eindeutig unterfordert. Er ist ein liebenswürdiger, geistig zurückgebliebener Mann, den man am liebsten in den Arm nehmen möchte. Gesanglich ist er stark, zu stark für diesen Part. Es ist zu hoffen, dass er bald in einer großen Rolle bei den Vereinigten Bühnen besetzt wird.
Annemieke van Dam überzeugt sowohl gesanglich wie schauspielerisch als liebevolle Schwester von Maxime.
Eine erfrischende Erscheinung ist Boris Pfeifer als schlitzohriger Cousin Jack Favell, der seine Figur gekonnt schmierig und hinterhältig verkörpert - eine Glanzleistung.
REBECCA ist kein Gute Laune-Musical. Es ist voller Spannung und Mystik. Einzigartig anders, abseits so vieler klischeehafter oder Juke-Box Musicals, mit so einigen Ohrwürmern und einer hervorragenden Cast, aus dem Willemijn Verkaik hervorsticht.
Am 18. November erscheint die Gesamtaufnahme bei HitSquad Records.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer;
Fotos, wenn nicht anders angegeben: VBW/ Deen van Meer
21.09.2022 - Theater im Park/ Wien
Viktor Gernot & Michael Niavarani – SCHLAGERANFALL
Eine Nacht zum Schunkeln im Theater im Park
Schlager sind verschrien, musikalisch, wie auch literarisch trivial zu sein. Doch gerade in Zeiten von Pandemie, Krieg und dem Ausblick vieler in eine nicht gerade rosige Zukunft, erlangt die leichte Unterhaltung wieder einen höheren Stellenwert.
So haben sich Michael Niavarani, Viktor Gernot und die Simpl Girls Katharina Dorian, Jennifer Frankl und Ariana Schirasi-Fard dem Thema angenommen und unter dem Namen SCHLAGERANFALL ein heiter beschwingtes Programm zusammengestellt, welches sie an vier Abenden Ende September im Theater im Park präsentierten.
Mehr als zwei Stunden, in Winteroutfits und Decken gehüllt, harrten die zahlreich erschienenen Besucher*innen nicht nur tapfer in der Kälte aus, sondern klatschten, schunkelten und sangen begeistert mit - bei manchen vielleicht auch, um sich warm zu halten.
Der Schwerpunkt der Lieder lag im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts. Catherina Valente, Peter Alexander, Bill Ramsey, Costa Cordalis, Gus Backus, Vico Torriani, sind nur ein paar Showgrößen aus der Schlagerwelt, deren sich die fünf annahmen. Dabei wurde zwischen den musikalischen Beiträgen, sowie auch währenddessen gescherzt und aus dem Nähkästchen geplaudert. Michael Niavarani bewies, dass er nicht nur ein grandioser Comedian ist, sondern auch passabel singen kann. Gentleman Viktor Gernot schlüpfte zudem in mehre Rollen. Sein Vorbild Peter Alexander durfte dabei ebenso nicht fehlen, wie André Heller und Heinz Rühmann.
Die drei Musical-Ladies waren in dem Programm gleichermaßen eingebunden und zeigten sich gut gelaunt bei Soli, Duetten und Ensemble-Nummern. Da der Schlager inhaltlich bekanntlich anspruchslos ist, versuchte Ariana Schirasi-Fard auf Zurufe eines Zuschauers spontan einen Text zu kreieren und intonieren, was ihr auch fabelhaft gelang.
Routiniert begleitete Viktor Gernots Band "Beste Freunde" die vier Künstler*innen im Schwarzenberggarten am Belvedere.
Nach mehreren Zugaben klang der SCHLAGERANFALL unter begeisterndem Applaus aus und beendete grandios und überaus erfolgreich die Spielzeit im Theater im Park.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik: Wolfgang Springer; Fotos: Michaela Springer
15.09.2022 - Komödie am Kai/ Wien
Premiere PROBIER´S NOCHMAL!
Am 15.9.2022 startete die Komödie am Kai mit Peter Limburgs Stück PROBIER´S NOCHMAL! in ihre 41. Bühnensaison. In den Hauptrollen agieren Dany Sigel und Sabine Muhar, die nicht nur im Sprechtheater und im Film zu Hause sind, sondern in der Vergangenheit auch erfolgreich als Musicaldarstellerinnen zu sehen waren und nun auch den Schauspiel-Nachwuchs unterrichten. Gemeinsam begeistern sie nun in der unterhaltsamen Komödie PROBIER´S NOCHMAL!“
Anna möchte das „Flittchen“ kennenlernen, die ihren geliebten Mann nach 36 Jahren dazu gebracht hat, sie zu verlassen. Christine will mit einer Opernagentur durchstarten. Mit Hinterlist tritt Anna in das Leben von Christine, um ihren mörderischen Plan in die Tat umzusetzen. Doch es läuft nicht alles wie geplant.
Peter Limburg Stück ist spitz pointiert, mit unerwarteten Wendungen und bietet einiges an Situationskomik. Dabei darf auch ein Schuss Lebensweisheit nicht fehlen und die Botschaft, dass man selbst in verzweifelten Lagen nie den Mut und den Humor verlieren sollte.
Die zwei Protagonistinnen sind ideal besetzt. Ihr Spiel ist von einer Natürlichkeit und Freude, welche sich auf die Zuschauer überträgt. Dany Sigel beeindruckt zusätzlich noch mit ihrer Vitalität, die sie mit 82 Jahren auf der Bühne zu zeigen vermag.
Mit PROBIER´S NOCHMAL! ist die Komödie am Kai erfolgreich in die neue Saison gestartet. Man setzt weiterhin auf humoristische Leckerbissen, welche beste Unterhaltung ohne großen technischen Aufwand, und mit fabelhaften Besetzungen bietet. Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert. Bis zum 15. Oktober steht die Produktion noch auf dem Spielplan.
Kartentelefon: 01/ 533 24 34 * www.komoedieamkai.at
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik & Fotos: Michaela Springer
14.09.2022 - Theater im Park/ Wien
Viktor Gernots SCHIeFLIEGEN
Sein musisch-heiteres Kabarettprogramm
Fast gänzlich Politik und Corona befreit trifft der begnadete Allround-Künstler auch in seinem neuen Programm den Nerv der Zeit und begeisterte am 14. September sein Publikum im Theater im Park mit musikalischen wie komödiantischen Gustostückerln. Dabei nahm er auch die aktuelle Austro-Pop-Szene aufs Korn, plauderte aus seiner Kindheit und Jugend ließ einen Adeligen, Alltags-Psychologen und einen Fußballtrainer, der verdächtig an einen bekannten Sportler erinnerte, zu Wort kommen. Dass der Mann, der bereits unzählige Preise und Auszeichnungen sein Eigen nennen darf, noch keinen Romy bekommen hat, ist für ihn und auch seine Fans unverständlich. Humorvoll hat er sich diesem leidigen Thema angenommen und appellierte, ihn doch endlich für diesen Publikumspreis zu nominieren.
In zwei, leider viel zu rasch verflogenen, Stunden, bewies Viktor Gernot, dass er ein Überflieger in der Kabarettszene ist. Schiefliegen konnten die Zuschauer*innen an diesem Abend jedenfalls des Öfteren.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik & Fotos: Wolfgang Springer
29.07.2022 - Festung Kufstein (Tirol)
EVITA
Operettensommer in Kufstein
Der Himmel weinte, als genau zum 70. Todestag das Musical EVITA von Tim Rice (Libretto) und Andrew Lloyd Webber (Musik) seine Premiere in Kufstein feierte. Nicht so die Darsteller und das Publikum, welche(s) Corona bedingt zwei Jahre darauf warten musste(n).
Im Nordtiroler Unterland zeichnet sich Regisseur sowie Choreograph Enrique Gasa Valga für die Umsetzung des Stücks verantwortlich. Er nahm die Zuseher mit in das Argentinien von 1935 bis 1952.
Die Bühne präsentiert sich als Tango-Lokal. Dort spielen sich viele leichtfüßig wirkende Tanzeinlagen ab, wie zu Beginn mit einer fast 15-minütigen vom Tiroler Tanzensemble. Von Ballett bis Tango ist alles dabei, was für Freude beim Publikum sorgt.
In den Hauptrollen sind Anna Brull als "Evita" und Benoit Pitre als "Juan Perón" zu sehen. Interessant die Rolle des "Ché", gespielt von Tiziano Edini, der teils erzählend, teils singend durch die Geschichte führt.
Es wird auf Deutsch gesungen, jedoch mit mitschwingendem, spanischem Akzent. Im Zusammenspiel mit der Musik des Orchesters, geleitet von Dirigent Oswald Sallaberger, kann so ein Feuerwerk der Gefühle entfacht werden.
Eva Duarte de Perón begann bereits in jungen Jahren an ihrer Karriere zu arbeiten. Die aus einfachen Verhältnisse stammende Frau - von vielen "Evita" genannt - schaffte den gesellschaftlichen Aufstieg, indem sie sich zuerst einen Namen in der Unterhaltungsbranche machte. Sie scheute sich nicht davor ihren Weg zu gehen, indem sie sich auf einige wichtige Männer einließ.
Durch die Hochzeit mit dem Präsidenten Juan Perón erlangte sie internationale Bekanntheit. Dennoch war Evita zeit ihres Lebens umstritten. So sehr sie auch von den ärmeren Teilen der Bevölkerung verehrt wurde, umso mehr verabscheuten sie die Aristokraten und führenden Militärs. Der Wunsch, Vizepräsidentin von Argentinien zu werden, blieb ihr verwehrt.
Mit nur 33 Jahren starb Evita am 26. Juli 1952 an Gebärmutterhalskrebs.
Anna Brull spielt Evita Peron stark und bestimmend, aber dennoch wenig charismatisch. Als Mezzosopranistin ist sie zudem eher der Oper zugeneigt.
Tiziano Edini verkörpert Che. Wer den Film mit Madonna und Antonio Banderas gesehen hat, wird Ähnlichkeiten beim sehr übertrieben Sarkasmus und Pathos erkennen. Gesanglich hat er noch Reserven.
Greta Marcolongo überzeugt als Mistress von Perón mit ihrer Stimme und Präsenz. Es wäre wünschenswert gewesen, sie in der Titelpartie erleben zu können. Sie ist ein Talent, das man hoffentlich noch öfters auf Tiroler Bühnen sehen wird.
Andrea De Majo, Mitglied der Tiroler Landestheaters begeistert das Publikum mit seinen Tanzeinlagen und seinem Humor, und vielleicht die eine oder andere Dame mit seiner attraktiven Erscheinung. Er wird in Folge auch als Cover von Che zu sehen sein.
Der gesamt Cast inklusive Ensemble des Tiroler Landestheaters ließ sich weder vom Dauerregen noch von kleinen Stürzen abschrecken und hinterließ einen soliden Eindruck.
Schade, dass das Stück nur für neun Vorstellung angesetzt ist. Allein schon wegen der beeindruckenden Location der Festung von Kufstein hätte es EVITA verdient mindestens bis zum Ende des Sommers aufgeführt zu werden.
2023 soll, so ferne Corona nicht noch die Stimmung vermiest, JESUS CHRIST SUPERSTAR auf der Festung Kufstein Einzug halten.
4 von 6 Sternen: ★★★★
Kritik: Jacqueline Hueber; Fotos: Operetten Sommer Kufstein
22.07.2022 - Stadttheater/ Baden (NÖ)
SUNSET BOULEVARD
Träume aus Licht
Die Bühne Baden brachte in der diesjährigen Sommerproduktion mit SUNSET BOULEVARD, eine sarkastische Abrechnung auf das Hollywood kurz nach der Stummfilmära.
Das Musical von Sir A.L Webber, Don Black und Christopher Hampson basiert auf den Film „Boulevard der Dämmerung“ von Billy Wilder mit Gloria Swanson als Hauptdarstellerin Norma Desmond, die bereits in den 50iger Jahren Pläne für eine Musicalversion mit Dickson Hughes und Richard Stapley als Komponisten hatte. Das Projekt scheiterte jedoch am Widerstand von Paramount.
Viele Begebenheiten beruhen auf der Realität. So hat zum etwa Norma Desmond sehr viele Gemeinsamkeiten mit Gloria Swanson.
Die schonungslose Abrechnung mit der Traumfabrik wurde zu einem der Meisterwerke des Österreichers Billy Wilder und rangiert auf Platz 12 der besten Filme aller Zeiten.
Am 12. Juli 1993 feierte das Musical in London mit Patti LuPone seine Welturaufführung. Glenn Close erzielte mit dieser Rolle ihren größten Broadwayerfolg.
SUNSET BOULEVARD ist musikalisch gesehen eine Aneinanderreihung von diversen Wiederholungen einiger weniger prägnanter Songs, die nach und nach zu Ohrwürmern werden. Das Stück kann nicht an die Klasse von „Jesus Christ Superstar“, „Cats“ oder „Phantom der Oper“ anschließen. Das Orchester des Stadttheaters unter der Leitung von Andjelko Igrec vermag es dennoch die Komposition des Briten eindringlich umzusetzen.
Die Geschichte selbst ist spannend und bizarr, lebt aber fast ausschließlich durch die Protagonis*innen, welche ausdrucksstarke Persönlichkeiten sein müssen - vor allem die exzentrische Stummfilmdiva. Maya Hakvoort als Norma Desmond zieht dabei alle Register ihres Könnens. Es sind gerade die dramatischen Szenen, in denen sie schauspielerisch brilliert, ihre Einsamkeit, Hoffnung und Verzweiflung, die immer mehr in Besessenheit und Irrsinn mündet. Es genügt „nur ein Blick“ und das Publikum ist ihr verfallen und tief berührt.
Lukas Perman, erst kürzlich als Hakvoorts Sohn Rudolf in „Elisabeth“ vor Schloss Schönbrunn im Einsatz, mutiert in Baden zu ihrem Toy Boy. Dabei erwies er sich als Idealbesetzung des smarten Drehbuchautors Joe Gillis. Seine Rolle ist eine Gradwanderung zwischen Mitleid und eiskalter Berechnung. Die Balance aus der Zersplitterung seiner Seele, die Verlockung eines in Reichtum sorglosen Lebens oder den echten Gefühlen, welche ihm letztendlich das Leben kosten, gelingt ihm durchgehend überzeugend.
Beppo Binder als Max von Mayerling ist passagenweise gesanglich überfordert, kann aber als traurige Gestalt überzeugen. Man fragt sich, was in einem Mann vorgeht, der als Buttler bei seiner Ex-Frau bleibt und zusieht, wie sie mit anderen Männern schläft.
Die zweite, starke Frau im Stück ist Dorina Garuci als Betty Schäfer. Sie ist das Gegenteil von Norma, jung und voller Träume und Ziele. Durch ihre jugendliche Frische und positive Lebensbejahende Art ist sie eine große Konkurrentin zu Norma – zu Recht, wie sich herausstellt. Obwohl sie mit Gillis Freund Artie Green zusammen ist, fängt sie etwas mit dem Autor an.
Vom Ensemble ist noch Thomas Smolej als Gillis Kumpel Artie positiv zu erwähnen, der als sympathischer aber naiver Artie Green zu bedauern ist. Der Rest des Cast fällt mit teilweise schlechter Artikulation auf.
Die Inszenierung unter Andreas Gergen und Projektionen von Andreas Ivancsics bieten großes Kino. Lebende Oscar-Statuen sind die einzigen Freunde der einsamen Diva. Diese zeigen jedoch auch die Schattenseiten des Filmbusiness auf. Sie fordern, zerren. Die sexuelle Ausbeutung von Frauen in dieser Branche wird auch von Gergen in Ansätzen thematisiert. Der Preis von Hollywood, damals, wie heute. Eindrucksvoll setzt er die Silvesternacht auf zwei Ebenen in Szene. Unten wird das neue Jahr hoffnungsvoll erwartet, oben schneidet sich Norma Desmond die Pulsadern auf. Die Glitzerwelt fordert ihren Tribut. Alter ist tabu, ewige Jugend ist gefragt. Schon im Film war dies ein heißes Thema auf der Bühne Baden wird es satirisch mittels eines Beautyprogramms umgesetzt.
Die Einsamkeit einer Diva, die um ihren Affen trauert, als wäre es ihr eigenes Kind, wird grell und steril gezeigt. Mitleid ist in Hollywood nicht gefragt.
Die Kostüme sind der Zeit und Gesellschaftsschicht entsprechend angepasst
SUNSET BOULEVARD begeistert die Zuschauer. Vor allem Maya Hakvoort und Lukas Perman, sowie dem Leading Team des Stadttheaters Baden ist es zu verdanken, dass dem mittelmäßige Stück von Sir A.L. Webber vor den Toren Wiens ein großer Erfolg beschieden wurde.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Christian Husar
20.07.2022 - Pölz-Halle/ Amstetten (NÖ)
GREASE - Das Musical
Musicalsommer Amstetten
Amstetten reist mit GREASE back to the ´60s. Die Geschichte ist belanglos mit einer Menge Klischees. Kreischende Cheerleaderinnen und autovernarrte, pubertierende Möchtegernmachos. Mit Zigarette und sexistischen Sprüchen fühlen sich die Jungs cool und die Mädchen schmachten nach ihnen. Aber GREASE ist Kult! Vor allem die Songs reißen das Publikum mit. Es ist Gute Laune Musical, welches hervorragend in den Sommer passt. Man kann den Alltag für einen Abend vergessen, sorgenfrei und locker.
Die Inszenierung von Alex Balga ist einfallsreich und rasant, in manchen Momenten allerdings etwas übertrieben. Es gibt kaum einen ruhigen Moment. Dem Ensemble wird tänzerisch einiges abverlangt. Optisch gibt es viel nackte Haut zu sehen, inklusive Poblitzer der Jungs.
Beeindruckend das Bühnenbild und die Videoprojektionen von Sam Madwar. Die Kostüme, ebenfalls sehr einfallsreich, stammen von Aleksandra Kica. Das letzte von Sandy war jedoch enttäuschend brav. Kennt man doch das prägnante Lederoutfit von Olivia Newton John. Für den satten Sound zeigte sich Christian Frank und seine Band verantwortlich.
Gerade zur Premiere verlor Hauptdarstellerin Deike Darrelmann im ersten Akt ihre Stimme. Der Abend konnte durch Toneinspielungen der Generalprobe gerettet werden, da es keine Zweitbesetzungen gibt. Gratulation an die Tontechnik für diese rasche Umsetzung und an die Hauptdarstellerin, welche Lippensynchron die Show zu Ende spielte.
Aus dem Cast fielen besonders Muriel Willfurth als Jan und Raphael Gross als Doody durch ihre Natürlichkeit im Spiel auf.
Katharina Gorgi konnte als Rizzo ebenfalls stimmlich, wie schauspielerisch überzeugen.
Deike Darrelmann kämpfte bereits zu Beginn mit ihrer Gesangsstimme. Fairnesshalber sei hier auf eine Beurteilung verzichtet. Darstellerisch wurde sie den Ansprüchen der schüchternen Sandy vollends gerecht. Alexander Auler gibt Danny, den Möchtegern Macho mit weichem Kern. Gekonnt meisterte er diesen Balanceakt.
Ein Manko der Produktion ist jedoch, dass es dem Großteil der Cast an Charisma fehlt. So bleiben viele Figuren blass.
Das Premierenpublikum zeigte sich dennoch sichtlich begeistert und bejubelte minutenlangen das Ensemble.
Mit 85 Prozent Kartenvorverkauf und einigen Zusatzvorstellungen ist Intendant Alex Balga ein weiterer Sommerhit für Amstetten gelungen. „GREASE is the World.“
Das Stück steht noch bis So, 14. Aug. 2022 auf dem Spielplan.
Nähere Infos
4 von 6 Sternen: ★★★★ Kritik: Michaela Springer; |
17.06.2022 - Somerarena/ Baden (NÖ)
IM WEISSEN RÖSSL
Premiere
Mit der Operette IM WEISSEN RÖSSL startet die Bühne Baden in die diesjährige Sommersaison. Das Werk war seinerzeit eine Auftragsarbeit und wurde aus Zeitgründen auf mehrere Komponisten aufgeteilt. Hat man oft bei den Gegenwartskompositionen Probleme sich einen Song zu merken, bleiben einem in diesem Stück mehrere Ohrwürmer im Gedächtnis, sei es von Benatzkys „Es muss was Wunderbares sein“ oder „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ von Robert Stolz „Die ganze Welt ist himmelblau“, von Bruno Granichstaedten „Zuschaun kann I net“ oder zu guter Letzt „Was kann der Sigismund dafür“ von Robert Gilbert.
Die am 8. November 1930 uraufgeführte Operette wird als Frühform des Musicals gehandelt. In London wurde das Stück 650-mal en Suite gespielt, in New York 223-mal. Es gibt mehrere Verfilmungen. Legendär ist jedoch jene von 1960 mit Waltraud Haas als Rössl Wirtin Josepha Voglhuber und dem unvergesslichen Peter Alexander, der sich die Rolle des Oberkellners Leopold Brandmeyer zu eigen gemacht hat. Seine Darstellung ist so prägnant, dass die Operette stets mit ihm in Verbindung gebracht wird. Es ist diese verklärte Szenerie der scheinbar heilen Welt, mit überzogenen Charakteren.
Nach zahlreichen Wirrungen gibt es schließlich doch ein Happy End, inklusive Auftritt des alten Kaisers Franz Josef – jedoch nicht im Film, aber natürlich in der Sommerarena Baden. Es hat ihn sicher sehr gefreut, dass er als einziger einen Zwischenapplaus beim Betreten der Bühne bekam. Ob dieser Heinz Zednik galt, oder dessen Figur, bleibt dahingestellt. Dass die Österreicher*innen ein verklärtes Verhältnis zum vorletzten Kaiser haben, ist ja bekannt. Und Heinz Zednik zelebriert diese Rolle. Er gibt den Kaiser Franz Josef par excellence, und wenn er dann noch mit gütiger Stimme „Es ist einmal im Leben so“ trällert, berührt der 82-jährige Opernsänger nicht nur Josepha Voglhuber, gespielt von Verena Scheitz. Sie verkörpert die resche, resolute Wirtin ganz wunderbar und kann so gesangliche Defizite überspielen. Smart, charmant, wie einst Peter Alexander, mit breitem Lächeln, ist Boris Pfeifer der verliebte Leopold. Mit Wiener Schmäh und das Herz am richtigen Fleck avanciert er zum Publikumsliebling, auch wenn seine Stimme in höheren Lagen sehr gepresst und krächzend klingt.
Als Retter des Premierenabends fungierte Alexander Krönner, der innerhalb von zwei Tagen die Rolle des Dr. Siedlers einstudieren musste, nachdem die Erstbesetzung erkrankt war.
Jens Janke gibt den überzogenen, ständig im berlinerischen meckernden Wilhelm Giessecke. Seine Tochter Ottlie im Punker Outfit spielt Melanie Schneider. Ein erfrischender Sigismund Sülzheimer war Oliver Baier, der durch witzige Regieeinfälle die Lacher auf seiner Seite hatte. Sein Klärchen ist die liebreizende Juliette Kahlil mit entzückendem Sprachfehler. Durch ihre quirlige Art war sie sehr präsent. Andreas Steppan als ihr Vater war herzerwärmend. Jonas Zeiler war ein Bilderbuch Piccolo, vorlaut und witzig, verpackt in jugendlich, frischem Charme.
In gleich drei kleinen Rollen bekam man Gabriele Schuchter zu sehen. Das Publikum begeisterte sie mit ihrem Jodeltalent.
Die Inszenierung von Isabella Gregor ist humorvoll, frisch und charmant. Es gibt nicht nur einen Briefkasten auf zwei Beinen, sondern auch eine steppende Kuh. Anna Vitas Choreographie ist flott und einfallsreich, perfekt für das fixe Tanz-Ensemble der Bühne Baden. Das Bühnenbild ist plakativ einfach. Die Elemente sind leicht faltbar. Bei einem zu schwungvollen Auftritt bei der Premiere hat sich ein Seitenteil des Restaurants in Bewegung gesetzt und wollte zuklappen. Die Berglandschaft wird als Postkartenidylle mit Stempel dargestellt.
Furchtbar hingegen das Outfit, mit denen sich die Darsteller*innen kleiden müssen. Diese sahen aus, wie aus einem Second-Hand Laden, bunt zusammengewürfelt, zumeist unpassend in Stil und Größe – eher untypisch für die ansonsten hochwertigen Kostüme in den Produktionen des Stadttheaters Baden.
Dennoch laden die wunderbaren Melodien, die sympathischen Künstler*innen auf der Bühne und die solide Inszenierung zu einem Theaterbesuch in die Sommerarena ein. Den Premierengästen hat es gefallen. Und wie der Kaiser zu sagen pflegte: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut.“
IM WEISSEN RÖSSL ist noch bis 21.8.2022 zu sehen. - Nähere Infos
4 von 6 Sternen: ★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Lukas Beck
11.06.2022 - Das Vindobona/ Wien
The ABBA-solutely Mamma Mia's
Nach mehreren krankheitsbedingten Verschiebungen und Umbesetzungen war es am 11. Juni 2022 für „The ABBA-solutely Mamma Mia´s“ soweit. Jacqueline Braun, Monika Ballwein, Andreas Wanasek und Katharina Gorgi präsentierten die größten ABBA Hits – und mehr.
Das Quartett wurde von Bela Fischer am Klavier begleitet, durch das Programm führte Jacqueline Braun mit Charme und Esprit. Sie flirtete wild mit dem Publikum und konnte es immer wieder zum Mitmachen animieren. Sie ist eine Künstlerin mit unsagbar viel Energie und man fragte sich, warum sie nicht des Öfteren als Gastgeberin engagiert wird. Mit ihrer Freundin Monika Ballwein, welche gesundheitlich angeschlagen war, ging bei den Songs der schwedischen Kultband richtig die Post ab. Motorrad und Straßenbahnschienen sind keine ideale Kombination und dennoch humpelte sie elegant mit Krücken über die Bühne. Ihre Stimme war zum Glück in keiner Weise beeinträchtigt.
Im ersten Teil konnte man viele der größten ABBA Hits hören. Im zweiten gab es schließlich ein Potpourri diverser Musicals. Mit „There Are Worse Things (I Could Do)" präsentierte Katharina Gorgi einen Ausschnitt aus „Grease“. Beim Musicalsommer Amstetten wird sie dort als Rizzo zu sehen sein.
Für einen Gänsehautmoment sorgte Jacqueline Braun mit „On My Own“ und „Maybe This Time“. Letzteres singt sie bei jeder Audition, was vom anwesenden, ehemaligen Musikdirektor der Vereinigten Bühnen Wien, Caspar Richter, bestätigt wurde.
Eine eigene Interpretation von „Somewhere“ hörte man von Monika Ballwein. Mit dem Duett „About Paradise“ aus „Footlose“ von Andreas Wanasek und Katharina Gorgi endete der Abend.
Das Publikum tobte, und bei der Zugabe wurde nochmals kräftig mitgesungen und ausgelassen getanzt. …. „Thank you for the music – Thank you for the evening“.
4 von 6 Sternen: ★★★★ Kritik & Fotos: |
02.06.2022 - Steinbruch Winzendorf (NÖ)
ROMEO & JULIA - Aufbruch in eine neue Welt
Sommerfestspiele
Julia als Emanze, Männer mit Nagellack, ein gütiger Pfarrer mit Nietenhandschuhen und -gürtel und eine Amme mit Sado Maso-Vorlieben. Das alles gibt es bei der neuen, ROMEO & JULIA Interpretation von Benedikt Karasek (Autor) und Günter Fiala (Musik), die am 2. Juni im Steinbruch Winzendorf uraufgeführt wurde.
Das Werk von Wilhelm Shakespeare stammt aus dem Jahre 1597 und handelt über zwei junge Liebende, die durch die Umstände, dass ihre Familien verfeindet sind auf tragische Weise Selbstmord begehen. Zahlreiche Werke haben diesen Stoff aufgegriffen wie etwa die Musicals „West Side Story“ und „Romeo und Julia“ von Gérard Presgurvic.
Neuinszenierungen sehen mitunter Julia als eine Frau, die selbst über ihr Leben bestimmen möchte, aber dennoch zu einer Heirat mit Paris gezwungen wird - so auch in der Winzendorfer Produktion. Julia sehnt sich nach Freiheit ohne Fremdbestimmung und beugt sich zu Beginn scheinbar dem Diktat ihres Vaters. Ist sie aber wirklich in Romeo unsterblich verliebt oder sieht sie darin lediglich ihre Chance, sich von all den familiären Zwängen zu befreien. All ihre Wünsche projiziert sie in die hineingesteigerte Liebe zu Romeo, den sie kaum kennt. Julia ist die Charakterstärkere. Sie zeigt Widerstand und handelt bedachter. Romeo ist hitzköpfiger und oft unbeherrscht, was ihm auch die Verbannung einbringt. Er liebt sie wirklich und wählt, nach Julias vermeintlichen Selbstmord, den Tod. Sie nutzt diese gewonnene Freiheit als Chance, sich von ihrem Vater, der mit Paris die Herrschaft in der Stadt an sich reißen will, loszusagen, die beiden anzuklagen und selbst die Macht zu übernehmen.
Anna Zagler und Eike N.A. Onyambu sind Julia und Romeo. Beide sehr bemüht, können das Publikum weder mit ihren dünnen Stimmen noch schauspielerischem Talent berühren. Sie stehen im Schatten von zwei Musicalprofis, die zeigen, wie es funktioniert: Marika Lichter als Amme und Axel Herrig als Julias Vater.
Es war eine sehr gute Entscheidung, die Intendantin mit auf die Bühne zu holen. Ihr perfektes Timing verleiht der Rolle den nötigen Esprit. Einfühlsam, liebevoll, aber auch bestimmend, wenn es verlangt wird, wird sie zur Drahtzieherin im Stück. Axel Herrig ist der charismatische und strenge Vater von Julia. Er verfügt über eine starke Bühnenpräsenz und Stimme. Deren beider Auftritte sind die Glanzpunkte der Produktion und erteilen den Nachwuchsdarsteller*innen ihre Lektion.
Das Stück hat durchaus Potential, wirft derzeit jedoch Fragen auf. Fecht- und Kampfszenen sind durchaus gelungen choreographiert. So manche Rolleninterpretation ist dagegen verwirrend. Benjamin Oeser gibt einen sehr tuntigen Paris. Mit dazu passend, übertriebener Gestik umwirbt er Julia. Soll es eine missglückt, adelige Performance sein oder ist Paris so machtgierig, dass er seine wahren Neigungen unterdrückt?
Florian Klein als Tybalt, sowie Rebecca Soumagné als Fürstin sind zwei positive Erscheinungen aus dem ansonst schwachen Ensemble.
Um die Zugehörigkeit der beiden Häuser der Montagues und Capulets zu erkennen, gibt es ein Farbleitsystem mit Blau und Magenta.
Das Bühnenbild ist minimalistisch und bis auf ein Würfelgerüst statisch. Sollen sie den Aufbruch in eine neue Zeit symbolisieren oder sind dies bereits die Bauten für die im Anschluss stattfindenden Winnetou-Festspiele.
Günther Fiala greift bei seiner Musik auf die Methode der Leitmotive zurück, die von Hector Berlioz erstmals angewendet wurde. In dramatischen Musicals mit literarischen Vorlagen, findet man solche Leitmotive etwa in der „West Side Story“ oder „Les Misérables“. Doch der Beat bestimmt zumeist den Ton. An manchen Passagen wären Streicher wünschenswert gewesen, um besser Stimmungen erzeugen zu können. Die einzelnen Songs verblassen im Ganzen und werden zu Einheitsbrei. Ohrwürmer gibt es ad hoc nicht.
Die Kostüme sind bunt und schrill, die Zeit ist nur zitatweise angedeutet. Nur die Fürstin als starre Konstante ist historisch Gekleidet. Jeansjacken, Reifrock-Fragmente über Latexhosen kündigen die Umbruchstimmung an. Das Alte zerfällt, aber etwas Neues tritt bereits aus dem Schatten.
Auch, wenn das Stück Romeo und Julia heißt, sind die Stars des Abends Marika Lichter und Axel Herrig.
Das Buch weist teils interessante Ansätze auf, die Musik ist ausbaufähig und kann sich mit einem passend besetztem Orchester unter einem guten musikalischen Leiter sicherlich auch hören lassen. Die Besetzung ist, bis auf wenige, bereits erwähnte Ausnahmen, höchstens Mittelmaß. Die Inszenierung trägt ebenfalls nicht gerade für einen unterhaltsamen Abend bei.
Es ist zu hoffen, dass sich Benedikt Karasek und Günter Fiala an eine gründliche Überarbeitung machen, denn Grundpotential ist vorhanden, um das Stück an anderen Orten mit neuem Leading Team und Cast erfolgreich aufführen zu können.
2 von 6 Sternen: ★★
Kritik: Wolfgang Springer; Fotos: Musicalsommer Winzendorf 2022
www.musicalsommer-winzendorf.at
25.05.2022 - BRUNO Brunn am Gebirge (NÖ)
INTO THE WOODS
Sommerfestspiele
Seit 25.Mai heißt es beim Bruno in Brunn am Gebirge „Ab in den Wald“, denn Maya Hakvoort treibt als Hexe ihr Unwesen in Stephen Sondheims „Into the Woods“. Das deutsche Libretto hat Michael Kunze verfasst.
Es ist keine leichte und eingängige Sommerkost. Sondheim zählt zu den musikalisch anspruchsvollsten Komponisten, mit Johann Sebastian Bach als Vorbild. Er komponierte sehr komplex und nur wenige seiner Kompositionen wurden zu Hits, wie etwa „Send in the Clowns“ oder „Losing my Mind“.
Er warnte stets seine Studentinnen und Studenten, sich vom „Markt“ abhängig zu machen. Man sollte das Thema ergreifen, das man als Herausforderung empfindet. Auch seine Vorgehensweise war kein Geheimnis. Zuerst suchte er nach Ideen, erarbeitete den Text und schließlich vertonte er ihn.
Zahlreiche Preise, darunter Tony, Grammy, Oscar, Laurence Olivier Award oder Kennedy wurden ihm verliehen.
Die Premiere von INTO THE WOODS fand am 5.11.1987 in New York statt. Der Broadway-Star Bernadette Peters verkörperte die Hexe. Drei Jahre später am 31.3.1990 fand die Deutsche Erstaufführung in Heilbronn, 2014 wurde das Stück mit Meryl Streep als Hexe verfilmt.
In Brunn am Gebirge übernahm Maya Hakvoort diese Rolle und beweist in ihrer Interpretation eine große Portion Selbstironie. Herrlich, wie sie nach der Verwandlung, wie ein Model die Hüften schwingt und die Bühne zum Catwalk wird. Stimmlich berührte sie das Publikum besonders mit „Kinder versteh´n schon / Children Will Listen“. Doch überzeugen kann das gesamte Ensemble. Jede Rolle wurde passend mit renommierten Musicaldarsteller*innen und Newcomern besetzt. Da gibt es keine Schwächen.
Anne Mandrella verkörpert die Bäckersfrau liebevoll, mit Raffinesse und humorvoll. Ihr Mann, Reinwald Kranner, ist der liebende und überforderte Bäcker. Seine Stärken liegen in den leisen, bedachten Momenten.
André Bauer ist gleich in zwei Rollen zu sehen. Einmal als verführerischer Wolf und später als selbstverliebter Prinz und Mann von Aschenputtel. Amüsant seine übertriebenen und großen Gesten. Andreas Kammerzelt gibt sowohl den zweiten Prinzen, als auch Aschenputtels Stiefmutter. Mit blonder Perücke und Vollbart gleicht er Conchita Wurst und hat somit die Lacher auf seiner Seite. Vorallem seine markante (Hörspiel-)Stimme begeistert das Publikum.
Missy May legt ihre Rolle als schrilles, leicht psychopathisches Rotkäppchen richtig gruselig an. Ein wenig erinnert sie an Chucky, die Mörderpuppe. Sie steht damit im krassen Gegensatz zum liebreizenden und warmherzigen Aschenputtel, verkörpert von Valerie Luksch.
Nazide Alylin muss sich als Rapunzel mit einem eher kleineren Part zufriedengeben. Nur sporadisch gibt ihr das die Möglichkeit, ihre Gesangsstimme in vollem Umfang zu zeigen.
Matthias Trattner gibt den einfältigen aber liebenswerten Hans. Dabei beweist er, dass er für diese Figur die Idealbesetzung ist. Mit kindlichem Charme und Naivität meistert er sein Leben.
Ines Trimmer, die ebenfalls mehrere Rollen innehat, besticht mit einfühlsamer Stimme.
Und dann gibt es noch den Erzähler. Als Außenstehender führt er durch die Geschichte, bis er selbst zu deren Opfer wird. Markus Richter, seriös und mit honoriger Klangfarbe verleiht er dieser Rolle die gebührende Gewichtung.
Stefanie Riege und Silke Braas Wolters ergänzen das Ensemle als Aschenputtels Stiefschwestern, deren schaurig, heiterer Moment die Schuhanpassung war. Da fiel dann schon mal eine Zehe oder Ferse zu Boden.
Dean Welterlen schaffte es, aus INTO THE WOODS eine rasante, heitere Inszenierung ohne einen Augenblick der Langeweile auf die Bühne zu zaubern. Dafür hat er auch den Rotstift angesetzt und Kürzungen vorgenommen. Im 2. Teil hätte er sogar noch mehr streichen können.
Das Bühnenbild ist einfallsreich. Quer über die Bühne erstreckt sich mittig ein Laufsteg, dahinter versteckt sich das 6-köpfige Orchester unter der musikalischen Leitung von Jeff Frohner, welches gut auf die Protagonistinnen und Protagonisten im Vordergrund abgestimmt ist.
Das Top-Ensemble überzeugt mit erstklassigen gesanglichen und schauspielerischen Qualitäten.
Maya Hakvoort und ihr kreatives Team liefert im heurigen Musicalsommer Brunn am Gebirge eine rundum gelungene Produktion auf hohem Niveau ab, welche eine eher schwer verdauliche Musicalkost zum Hochgenuss werden lässt!
Die Produktion ist noch bis 12. Juni in Brunn am Gebirge zu sehen:
https://sommerfestspiele-brunn.at/into-the-woods/das-stueck
6 von 6 Sternen: ★★★★★★ Kritik: |
21.05.2022 - Komödie am Kai (Wien)
GUT GEGEN NORDWIND
Wiederaufnahme
„Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf“.
Kann man sich in eine Person verlieben, mit der man nur schriftlich in Kontakt steht und noch nie gesehen hat? Laut Psychologen ist dies durchaus möglich, da jeder Mensch bestimmte Sehnsüchte und Wünsche hat. Man lernt jemanden im Internet kennen, der diese Sehnsüchte zu erfüllen scheint. Es ist das Gefühl des gehalten und aufgefangen werden, wonach man strebt. Aber das ist nicht eine moderne Erscheinung, ausgelöst durch das Internet. Das gab es schon immer, etwa in Form des guten, alten Briefwechsels. Aber wohin führt dieser oft intensive Gedankenaustausch. Genügt das Schreiben oder nimmt das körperliche Begehren auf Dauer überhand? Wo sind die Grenzen? Man ist mit einem Menschen im Geiste vertraut, körperlich zugleich fremd. Es ist eine Art Außenwelt, in die man flieht und leben will, ohne das enge Korsett des Alltags, einfach nur ICH sein.
Auf diese Achterbahn der Gefühle begeben sich Emmi und Leo in der Theateradaption des Bestsellers GUT GEGEN NORDWIND, das am 21. Mai 2022 seine Wiederaufnahme an der Komödie am Kai feierte. Das kleine, privat geführte Theater versprüht einen besonderen Charme. Ohne Dreh und Hebebühne ohne LCD-Projektionen und anderen technischen Firlefanz liegt der Fokus ganz allein auf dem Können der Schauspieler. Hier wird Theater noch mit Herzblut betrieben.
Unter der Regie der Hausherrin Sissy Boran und Andrea Eckstein entstand eine sehr intime Atmosphäre und eine berührende und zum Nachdenken anregende Inszenierung.
Anna Sophie Krenn ist die quirlige, etwas verpeilte Emmi, die zufällig online auf den bedächtigen Professor Leo, gespielt von Anatol Rieger stößt. Ein falsch adressiertes Mail und ein daraus entstehender belangloser Plausch ist der Beginn einer intensiven Beziehung zweier im Leben gefestigter Menschen, die dennoch auf der Suche nach der Erfüllung ihrer verborgenen Sehnsüchte sind. Der Schriftverkehr wird immer intensiver, das Warten auf die nächste Antwort unerträglicher. Man öffnet sich dem Fremden gegenüber, bis sich Zuneigung entwickelt. In diesem Rausch der Begierde vermengen sich Sehnsucht, Enttäuschung, Zorn und Verzweiflung. Man will den anderen persönlich kennenlernen, scheut sich dennoch, denn die Angst vor einer Enttäuschung ist zu groß. Was ist, wenn der andere oder man selbst nicht den Erwartungen entspricht. Eine lange Zeit hat man sich ein Phantasiegerüst aufgebaut. Wie mag der/die andere wohl aussehen? Immer öfters nimmt das dazugehörige Umfeld Einfluss auf ihre Beziehung. Denn Emmi ist verheiratet und ihr Mann Bernhard bekommt langsam Wind von dieser heimlichen Liebe seiner Frau. Dies bringt schlussendlich diese Internet-Liebe zum Scheitern, obwohl beide so intensiv und tief füreinander empfunden haben.
Anna Sophie Krenn und Anatol Rieger geben das Online-Traumpaar auf Distanz – eine Idealbesetzung. Sie lassen das Publikum überzeugend an ihren Gefühlsschwankungen teilhaben. Mal schüchtern, mal herausfordernd legen sie ihre Rolle an. Die Intensität ihres Spiels nimmt stetig zu. Man fühlt und leidet mit ihnen mit.
Das Bühnenbild von Siegbert Zivny ist einfach aber effektiv. Zwei Kommoden als Raumtrenner für die zwei unterschiedlichen Wohnbereiche, ein Sofa, ein Tischchen, ein Schreibtisch mit Drehstuhl und ein Fauteuil reichen völlig aus. Die Kostüme von Barbara Langbeinig entsprechen der Alltagskleidung unserer Zeit.
„Zu meinem Glück gehören eMails von Leo“. – GUT GEGEN NORDWIND wird als der zauberhafteste und klügste Liebesdialog der Gegenwartsliteratur gefeiert. Das Buch des Österreichers Daniel Glattauer ist ein Bestseller. Und auch die Verfilmung 2019 fand großen Zuspruch.
Bis zum 18. Juni hat man noch die Gelegenheit das Stück im Herzen von Wien zu sehen.
6 von 6 Sternen: ★★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Komödie am Kai