11.10.2025 - Jugendstiltheater/ Wien

PHILIPP HOCHMAIR 
interpretiert 
'Franz Kafkas - Der Prozess'

Philipp Hochmair nähert sich Franz Kafkas Der Prozess nicht als literarisches Denkmal, sondern als lebendigem Organismus. Seine Lesung im Jugendstiltheater am Otto-Wagner-Areal ist weniger Vortrag als Transformation, ein sprachlich-physischer Ausnahmezustand, in dem der Schauspieler mit Text, Raum und Publikum in einen dichten Dialog tritt.

Als Franz Kafka vor über hundert Jahren Der Prozess schrieb, in einer Epoche, die vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs und von tiefen persönlichen Krisen geprägt war, konnte niemand ahnen, welche beklemmende Aktualität dieser Text einmal besitzen würde. In einer Gegenwart, die von geopolitischen Spannungen, der Macht digitaler Konzerne und gesellschaftsspaltenden Gerichtsurteilen geprägt ist, wirkt Kafkas Jahrhundertwerk heute wie ein Spiegel unserer Zeit.

Mit diesem literarischen Meilenstein eröffneten der Organisator Gerhard Krispl (Krispl Art Inspirations), die Geschäftsführer Heribert Fruhauf und Manuela Moser-Ritzinger gemeinsam mit Wien-Holding-Geschäftsführer Oliver Stribl das Jugendstiltheater am Otto-Wagner-Areal – als neuen Ort des Dialogs, der Kunst und der kritischen Auseinandersetzung.

„Kafka und der Ort gehören zusammen: Das Mahnmal vor dem Haus erinnert an über 700 Kinder, die ohne Sinn und Verstand willkürlich durch ein Regime getötet wurden. Der Prozess bildet den Schrecken vor der Übermacht ab, der vielen Menschen heute innewohnt. Der Schmerz, der in diesem Ort steckt, wird von diesem Text feinfühlig thematisiert“, erklärt Hochmair.

Philipp Hochmair bringt dabei Kafkas Sprachgewalt in die Gegenwart und lässt den Protagonisten Josef K. erneut an der Übermacht eines undurchsichtigen Systems zerbrechen.

Hochmair verwandelt die Sprache Kafkas in Bewegung, in Rhythmus, in Körper. Wo andere lesen, beginnt er zu atmen, zu zittern, zu beschwören. Seine Stimme moduliert zwischen Flüstern und Aufbegehren, zwischen juristischer Nüchternheit und apokalyptischem Fieber. Diese ständige Oszillation erzeugt eine Spannung, die sich nicht auf der Bühne, sondern im Inneren des Publikums entlädt.

Kafkas Text, der von der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber einer anonymen Macht erzählt, wird bei Hochmair zur Studie über Selbstverlust und Überleben. Er spielt nicht den Josef K., er zerfällt mit ihm. In Hochmairs Interpretation ist der Prozess kein äußerliches Verfahren, sondern eine existentielle Selbstbefragung, ein unaufhörlicher Monolog über Schuld, System und Identität.

Begleitet von sparsam gesetzten Klangflächen, Dia-Projektionen und einem minimalistischen Lichtkonzept (Hanns Clasen), entsteht unter der Regie von Andrea Gerck ein ästhetischer Raum von beklemmender Konzentration. 

Diese Reduktion auf das Wesentliche, Stimme, Körper und Text, ist zugleich Hochmairs künstlerisches Statement, die Rückführung des Theaters auf seine elementare Kraft. Ohne Requisiten, ohne Illusion bleibt nur der Mensch. Die Aufführung macht deutlich, dass Kafkas Prozess in der Gegenwart nicht an Aktualität verloren hat, sondern zu einem inneren Protokoll der Verunsicherung geworden ist.

Philipp Hochmairs Interpretation von Der Prozess ist ein radikaler, intensiver Akt der Aneignung. Er liest nicht, er entblößt. Seine Performance verwandelt Kafkas Text in eine physische Erfahrung, die das Publikum unmittelbar in das Zentrum der existenziellen Erschütterung führt. Ein Abend, der Literatur nicht zitiert, sondern sie neu erschafft.

6 von 6 Sternen: ★★★★★★    

                       Kritik: Michaela Springer
                       Fotos: Krispl Art Inspirations/Nikola Milatovic


www.philipphochmair.com

Informationen zum Otto Wagner Areal auf: owa-wien.at



 

 

 

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