12.12.2025 - Stadttheater Baden/ NÖ
MATILDA - Das Musical
Deutschsprachige Erstaufführung
Mit MATILDA präsentiert die Bühne Baden eine Produktion, die Unterhaltung und gesellschaftliche Relevanz überzeugend verbindet. Die deutsche Erstaufführung fand am 12. Dezember 2025 im Stadttheater Baden statt. Regisseur Andreas Gergen interpretiert das Musical nicht als harmloses Familienvergnügen, sondern als vielschichtige Geschichte über Selbstermächtigung, Widerstand und die emanzipatorische Kraft des Denkens. Trotz dieser inhaltlichen Schärfung bewahrt die Inszenierung durchgehend eine spielerische Grundhaltung.
Das Stück basiert auf dem Buch von Dennis Kelly und der Musik von Tim Minchin, deren Kombination aus pointierter Dramaturgie und eingängigen Songs die Inszenierung prägt.
Im Zentrum steht Matilda, ein außergewöhnlich kluges Mädchen, das sich gegen die ehemalige Hammerwerfende Olympionikin und jetzige tyrannische Schulleiterin Agathe Knüppelkuh und die gleichgültigen Eltern Wurmwald behauptet. Mit analytischem Verstand, Mut und Witz erkennt sie Ungerechtigkeiten und entwickelt kreative Strategien, sich zu behaupten. Unterstützung erfährt sie dabei von ihrer Lehrerin Fräulein Honig und der Bibliothekarin Frau Schilf. Die Kontraste zwischen Matildas innerer Stärke und den grotesk überzeichneten Erwachsenenfiguren erzeugen zentrale dramaturgische Spannung und schärfen den satirischen Blick auf Machtmissbrauch und Ignoranz.
Gergens Regiehandschrift manifestiert sich vor allem in der präzisen Figurenführung. Matilda wird nicht verniedlicht, sondern als ernstzunehmende Protagonistin gezeichnet, die sich mit analytischer Klarheit, Mut und Witz gegen eine Umwelt behauptet, die ihr systematisch Grenzen setzt.
Das Bühnenbild von Stephan Prattes verbindet kindliche Fantasie mit klarer Symbolik. Überdimensionale Buchstaben, flexibel nutzbare Raumelemente und präzise gesetzte Lichtwechsel erzeugen eine hohe visuelle Dynamik, die sowohl den rasanten Tempowechseln des Musicals als auch seinen ruhigeren Passagen gerecht wird. Die Choreografie von Francesc Abós fügt sich organisch in dieses Konzept ein, rhythmisch pointiert, erzählerisch motiviert und besonders in den Ensembleszenen von bemerkenswerter Energie und Klarheit.
In der Titelrolle zeichnet Liv Perman die Matilda mit einer klaren, kontrollierten Haltung. Ihre Darstellung ist von Ernsthaftigkeit und sichtbarer Konzentration geprägt und wirkt weitgehend bewusst geführt. Die Figur gewinnt dadurch an Struktur und Stringenz, lässt jedoch im Vergleich zu anderen Kindern des Ensembles jene kindliche Leichtigkeit vermissen, die dem Spiel stellenweise mehr Spontaneität und Beweglichkeit verleihen könnte.
Ann Mandrella entwirft als Mutter Wurmwald ein pointiert überdrehtes Porträt glitzernder Selbstbezogenheit. Ihr komödiantisches Timing ist präzise, die Überzeichnung scharf konturiert. Boris Pfeifer ergänzt sie als Herr Wurmwald mit lautstarker Protzerei und satirischer Zuspitzung. Gemeinsam formen sie ein groteskes Elternpaar, das den satirischen Kern der Vorlage wirkungsvoll freilegt.
Anna Rosa Döller gestaltet Fräulein Honig mit großer Wärme und musikalischer Sensibilität. Ihr feiner Mezzo und das bewusst zurückgenommene Spiel setzen einen poetischen Gegenpol zur grellen Welt der Wurmwalds. Die Figur gewinnt Kontur durch leise innere Stärke, ohne ins Sentimentale zu kippen. In „Mein Haus“ besingt sie berührend ihre eigene triste Lage.
Den stärksten komödiantischen Akzent des Abends setzt Andreas Lichtenberger als Agathe Knüppelkuh. Mit körperlicher Präsenz, vokaler Präzision und bewusst kontrollierter Überzeichnung formt er eine groteske Autoritätsfigur von hoher Durchschlagskraft. Seine Auftritte dominieren den Raum. Auch äußerlich ist die Figur prägnant gezeichnet. Die Erscheinung evoziert den Typus einer ehemaligen DDR-Leistungssportlerin, verstärkt durch eine kantige Silhouette und einer Frisur, die unmissverständlich an Edna aus Disney „Die Unglaublichen“ erinnert.
Timotheus Hollweg überzeugt in den Rollen des Arztes und Fitnesscoach Rudolpho mit spielerischer Eleganz und stimmlicher Sicherheit und setzt markante Akzente im Ensemblegefüge. Als noch junger Darsteller lässt er deutliches Potenzial erkennen, das auf eine vielversprechende weitere Laufbahn schließen lässt.
Die Besetzung der Bühne Baden trägt den Abend mit bemerkenswerter Geschlossenheit. Das Zusammenspiel von Kinder- und Erwachsenendarsteller:innen wirkt sorgfältig geführt und organisch verzahnt. Die Inszenierung profitiert gleichermaßen von starken individuellen Leistungen, wie von einem ausgeprägten Ensemblegeist, der dem Abend Struktur und Rhythmus verleiht.
Musikalisch präsentiert sich das Ensemble homogen und konzentriert. Die Kinderrollen, stets eine besondere Herausforderung, überzeugen durch darstellerische Frische. Die Erwachsenenfiguren profilieren sich mit markanten, bewusst zugespitzten Charakterstudien. Das Orchester unter der Leitung von Christian Frank spielt die Partitur mit Schwung und spürbarer Freude an den stilistischen Brüchen der Musik.
Besonders überzeugend gelingt der Inszenierung die Balance zwischen Humor und Härte. Das Lachen bleibt nie folgenlos, die Überzeichnung der Grausamkeit entfaltet ihre Wirkung gerade deshalb, weil die Regie den emotionalen Kern der Geschichte ernst nimmt. Gergen trifft damit den Geist der Vorlage präzise, subversiv, verspielt und stellenweise überraschend berührend.
Bei einer satten Spielzeit von über 2,5 Stunden ist für die Kleinen durchaus Sitzfleisch gefragt. Theater erfahrene Kinder sollten aber auch die eine oder andere Länge im Stück verkraften können.
Insgesamt gelingt der Bühne Baden mit MATILDA eine weitere Produktion von hoher handwerklicher Qualität, stilistischer Klarheit und erzählerischer Konsequenz. Das Musical erweist sich hier nicht als bloßes Familienvergnügen, sondern als klug austariertes Musiktheater mit generationenübergreifender Wirkung, eine Inszenierung, die das Repertoire des Hauses sichtbar stärkt und Andreas Gergens künstlerischen Anspruch überzeugend bestätigt.
5 von 6 Sternen: ★★★★★ Kritik: Michaela Springer;
Fotos: Lalo-Jodlbauer/ YAY Creative








