02.10.2025 - Metropol/ Wien

Liebesgeschichten & Heiratssachen

Die aktuelle Produktion des Wiener Metropol wagt einen originellen Zugriff auf Johann Nestroys Liebesgeschichten & Heiratssachen. Das Stück wird nicht nur in seiner klassischen Form präsentiert, sondern mit Melodien von Johann Strauss verknüpft und szenisch verankert. Herausgekommen ist ein hybrides Format zwischen Posse, Revue und musikalischer Farce, ein lebendiger Versuch, Traditionspflege und Unterhaltungskultur produktiv miteinander zu verschränken.

Zentrales dramaturgisches Verfahren ist die Parallelführung von Nestroys Verwechslungskomödie und Strauss’scher Musik. Während die Handlung den Konflikt zwischen Standesdünkel und Liebesfreiheit verhandelt, schafft die Musik eine zweite Bedeutungsebene, mal als ironischer Kommentar, mal als emotionaler Verstärker, mal als rhythmische Beschleunigung. Diese Doppelcodierung steigert die komödiantische Dichte, auch wenn sie stellenweise zu einer gewissen formalen Uneinheitlichkeit führt.

Die Inszenierung arbeitet bewusst mit klarer Typisierung. Der neureiche Fleischhauer, die heiratswillige Tochter, die intrigante Nebenfigur, alle sind in ihrer sozialen Rolle unmissverständlich markiert. Das hohe Spieltempo und die gestische Überzeichnung treiben die satirische Wirkung voran, riskieren dabei aber gelegentlich die Nähe zur Karikatur. Das Bühnenbild und die Kostüme setzen auf historische Illusion und atmosphärische Verdichtung. Farben und Formen unterstreichen die sozialen Unterschiede, ohne ins bloße Parodistische abzugleiten. Diese stilisierte Ästhetik erweist sich als stimmige Lösung zwischen Traditionsbezug und Aktualisierung.

Das Ensemble überzeugt durch Spielfreude und einprägsames Timing. Während die Hauptrollen vor allem durch komödiantische Präzision und musikalische Präsenz glänzen, tragen die Nebenfiguren wesentlich zur Dynamik der Farce bei, indem sie den Mechanismus von Täuschung und Enthüllung konsequent vorantreiben.

Herausragend ist Gerhard Ernst als Florian Fett. Mit sonorer Stimme verankert im tiefen Wienerischen, präzisem Timing und pointierter Körpersprache gelingt es ihm, den Typus des ehrgeizigen Kleinbürgers zwischen Lächerlichkeit und Tragik auszubalancieren. Ernst legt die Fallhöhe der Figur frei und zeigt in feinen Zwischentönen Menschlichkeit, die das Publikum gleichermaßen zum Lachen wie zum Nachdenken bringt.

Andy Lee Lang verleiht dem Wirten eine markant komische Note, während Alfred Pfeifer als Marquese Vincelli mit feinem Understatement überrascht. Statt bloßer Überzeichnung zeichnet er ein nuanciertes Bild eines Mannes zwischen Pose und Unsicherheit, eine darstellerische Leistung, die Vincelli weniger zur Karikatur als vielmehr zum Spiegel gesellschaftlicher Fassaden macht. In den Dialogen mit Ernst entwickelt sich ein pointiertes Wechselspiel von Witz und Spannung.

Katrin Fuchs bringt als Tochter Valentina Fett jugendliche Leichtigkeit und stimmliche Klarheit auf die Bühne, während Michael Havlicek (Alfred) und Seraphine Rastl (Lucia Distel) mit Eleganz und Energie die Verwicklungen vorantreiben. 
Andreas Peer bleibt als „Nebel“ besonders präsent, da er mit seiner Mischung aus volkstümlichem Tonfall und subtiler Ironie eine eigenständige Figur etabliert. 
Elisabeth Blutsch (Philipine) und Laura Luisa Hat (Yvonn) setzen durch ihre feine Ironie wohltuend gegenwärtige Akzente.

So gelingt dem Wiener Metropol mit Liebesgeschichten & Heiratssachen eine Produktion, die Unterhaltung und Reflexion wirkungsvoll verbindet. Das Publikum erhält nicht nur eine leichte, mitreißende Theatererfahrung, sondern zugleich einen klugen Kommentar zur Frage, wie Nestroy und Strauss heute neu erzählt werden können. Das Resultat ist Stück, welches die Tradition respektvoll weiterführt und ihr zugleich frische Impulse verleiht, ein erfreuliches Signal für das Potential des Volkstheaters im 21. Jahrhundert.

Noch bis 25. Oktober 2025 zu sehen.

5 von 6 Sternen: ★★★★★
                     Kritik: Michaela Springer; Fotos: René Brunhölzl

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www.wiener-metropol.at



 

 

 

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