14.06.2025 - Scala/ Wien
Zwischen Dienerschaft und Dichtung
IN GOETHES HAND
IN GOETHES HAND im Theater Scala, eine Inszenierung über Nähe, Macht und das stille Scheitern.
Wie lebt es sich im Schatten eines Genies? Diese Frage bildet den Mittelpunkt von Martin Walsers Stück IN GOETHES HAND, das derzeit unter der Regie von Bruno Max am Theater Scala zu sehen ist. Die Figur des Johann Peter Eckermann, bekannt als Herausgeber der Gespräche mit Goethe, wird hier nicht als Schüler oder Biograph gezeichnet, sondern als tragikomische Figur eines Menschen, der an seiner Verehrung langsam zerbricht.
Der junge Dichter Eckermann, in dieser Inszenierung mit bemerkenswerter Zurückhaltung dargestellt von Randolf Destaller, ist kein bloßes Opfer. Vielmehr zeigt sich ein Mensch, der sich bewusst in die Rolle des dienenden Geistes begibt und daran schleichend zerfällt.
Goethe selbst erscheint als altersmüder Patriarch, dessen Präsenz alles überstrahlt. Doch all das bleibt in der Inszenierung bloße Kulisse für Eckermanns schwindende Identität. Die Macht, die von Goethes bloßer Existenz ausgeht, genügt, um die anderen Figuren zu Randerscheinungen zu machen und genau das führt die Inszenierung mit bitterer Präzision vor.
Was diesen Abend besonders eindrücklich macht, ist der Verzicht auf psychologische Ausdeutung. Stattdessen entsteht eine Atmosphäre latenter Spannung, in der jede Figur gefangen scheint. Die Dialoge sind präzise, oft trocken komisch aber stets durchzogen von dem Gefühl, dass alles vergebens ist.
Einer der stärksten Momente des Abends ist Eckermanns Erkenntnis, auch nach Goethes Tod nicht frei zu sein. Hier offenbart sich, wie tief die Abhängigkeit reicht, nicht nur finanziell oder sozial, sondern existenziell. Das Bedürfnis, gebraucht zu werden, hat jede Eigenständigkeit verdrängt. Bruno Max inszeniert diese Erkenntnis ohne Pathos, beinahe beiläufig und gerade das macht sie so beklemmend.
Neben der Regie trägt insbesondere die Ensembleleistung diese Inszenierung. In Goethes Hand zeigt ein Schauspielkollektiv, das nicht um Wirkung ringt, sondern sich ganz in den Dienst der Figuren und des Textes stellt.
Randolf Destaller gelingt als Johann Peter Eckermann das Kunststück, Zurückhaltung in Ausdruckskraft zu verwandeln. Ohne große Gesten vermittelt er die leise Verzweiflung eines Mannes, der sich in der Nähe des Genies verliert. Jede Pause, jedes Zögern, jeder verlegene Blick spricht von innerem Ringen, eindrucksvoll und nuanciert.
Bei der Darstellung der Hannchen Bertran überzeugt Eva-Maria Scholz durch kluge Zurückhaltung. Als ewige Verlobte Eckermanns wirkt sie zunächst wie eine Nebenfigur, entpuppt sich jedoch zunehmend als moralischer Resonanzraum. Eva Maria Scholz verleiht Hannchen eine subtile Mischung aus Warmherzigkeit und ironischer Distanz.
Die Figur des August Goethe steht im Zentrum des sozialen wie emotionalen Dilemmas. Seine Darstellung verlangt Ambivalenz und genau diese gelingt Christian Kainrad mit beeindruckender Präzision. Er ist zwischen Aufbruch und Anpassung. Die innere Spannung der Figur wird in Tonfall, Gestik und Haltung konsequent gehalten, keine Pose, keine Sentimentalität, sondern kontrollierte Emotion. So entsteht ein psychologisches Drama ohne jede Überzeichnung.
Johanna Elisabeth Rehm gibt der Figur der Ottilie, Goethes Schwiegertochter, eine faszinierende Schärfe. Zwischen Resignation und souveräner Ironie jonglierend, schafft sie ein eindringliches Porträt einer Frau, die gelernt hat, sich im System Goethes zu behaupten.
Gustchen (Lisa Caroline Nemec) durchlebt eine emanzipierte Verwandlung. Was als scheue Geste beginnt, gewinnt im Verlauf an Kontur, nicht laut, aber konsequent. Gerade in der Szene, wo sie Willenskraft zeigt, entsteht eine emotionale Tiefe, die durch sorgfältige Sprachführung und innere Spannung getragen wird.
Hans Jürgen Bertram schließlich setzt als Goethe einen leisen, aber markanten Akzent. Er spielt keinen überlebensgroßen Titan, sondern einen alten Mann, der sich selbst zum Denkmal gemacht hat. Diese Ironisierung gelingt durch zurückhaltende Körpersprache, fast schläfriger Autorität und punktuell gesetzten Schärfe. Ein Goethe, der mehr durch Präsenz als durch Handlung wirkt und gerade dadurch beängstigend real erscheint.
Die Inszenierung verzichtet auf große Gesten und setzt stattdessen auf innere Genauigkeit, feine Kontraste und kluges Timing. Sie zeigt eindrucksvoll, Schauspielkunst lebt nicht allein vom Ausdruck, sondern auch von der Kunst der Zurücknahme.
IN GOETHES HAND ist eine stille, dichte Auseinandersetzung mit einem wenig beachteten Aspekt der Literaturgeschichte, dem Preis, den ein Mensch zahlt, wenn er sich selbst aufgibt, um Teil etwas Größerem zu sein. Das Theater Scala beweist mit dieser Produktion Mut zur Reduktion und schafft einen Theaterabend, der lange nachhallt. Kein lautes Drama, kein spektakuläres Finale, sondern ein meisterhaft inszeniertes Verlöschen.
Noch bis 27. Juni zu sehen.
5 von 6 Sternen: ★★★★★
Kritik: Michaela Springer; Fotos: Bettina Frenzel
www.theaterzumfuerchten.at/TheaterScala/